Westfälische Wilhelms-Universität Münster: Forschungsbericht 2003-2004 - Institut für Angewandte Physik

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2003 - 2004

 

 
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Prof. Dr. Hans-Georg Purwins (bis 7/2004)

Forschungsschwerpunkte 2003 - 2004  
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Nichtlineare Systeme und Strukturbildung (Prof. Dr. H.-G. Purwins)
Universelles Verhalten selbstorganisierter Strukturen in nichtlinearen dissipativen Systemen

 

Räumlich ausgedehnte nichtlineare dissipative Strukturen sind in der Natur allgegenwärtig. Wasserwellen, elektrische Entladungsvorgänge in der Atmosphäre sowie lebende Pflanzen und Tiere sind faszinierende Beispiele. Allen Systemen, welche derartige Strukturen ausbilden, sind folgende Eigenschaften gemeinsam:

  • Die Systeme sind einem beständigen Strom an Energie ausgesetzt. Diese Energie wird im System dissipiert, also in eine niederwertigere Energieform umgesetzt und wieder abgegeben. Die einströmende Energie entstammt z.B. dem Wind über der Wasseroberfläche, den durch Reibung von Wassertröpfchen aufgeladenen Wolken oder dem bei der Atmung von Lebewesen aufgenommenen Sauerstoff.
  • Die Systeme sind hoch nichtlinear, sodass z.B. eine Erhöhung des einströmenden Energieflusses zu einer qualitativen Änderung des gesamten Systemverhaltens führen kann (Bifurkation). Z.B. treten Wasserwellen überhaupt erst oberhalb einer bestimmten endlichen Windstärke auf, Entladungserscheinungen in der Atmosphäre erst ab einer Schwelle der elektrischen Feldstärke zwischen Wolke und Erde und Lebewesen wenn ein Minimum an Zufuhr von Sauerstoff sichergestellt ist.
  • Selbst wenn in einem System bestimmte Positionen im Raum von vorn herein nicht ausgezeichnet sind, so können sich nach langer Zeit auf mesoskopischer und makroskopischer Skala wohldefinierte stabile im Raum variierende Verteilungen gewisser physikalischer Größen ergeben (Attraktoren). Solche Größen sind in den obigen Beispielen die Höhe des Wasserspiegels, die Größe der elektrischen Stromdichte oder die Verteilung chemischer Substanzen in lebenden Objekten.
  • In identischen Systemen, also Systemen mit gleichen Modellgleichungen und Parametersätzen, können unterschiedliche Attraktoren eingenommen werden, je nach dem Zustand, in dem sich die Systeme anfänglich befinden (Multistabilität).
  • Auf Grund der aufgezählten Eigenschaften und weiterer Eigenheiten zeigen räumlich ausgedehnte nichtlineare dissipative Strukturen ausgeprägtes komplexes Verhalten und sind weitestgehend unverstanden. Das Verständnis selbstorganisierter Strukturen in nichtlinearen dissipativen Systemen stellt deshalb, insbesondere auch in Hinblick auf das enorme Anwendungspotenzial, eine der ganz großen Herausforderungen der modernen Naturwissenschaften dar.

Im Mittelpunkt der Arbeiten steht die exemplarische theoretische Untersuchung von Langzeitlösungen (Attraktoren) der folgenden nichtlinearen partiellen Differentialgleichung vom Reaktions-Diffusions-Typ

RD-Gleichung

Es konnte gezeigt werden, dass diese Aktivator-Inhibitor-Gleichung in hervorragender Weise geeignet ist, selbstorganisierte Strukturen in Niedertemperatur-Plasmasystemen und elektrischen Netzwerken verständlich zu machen. Damit wurde auch eine Brücke von dem großen Gebiet der Plasmaphysik zu der großen Klasse von Reaktions-Diffusions-Systemen geschlagen, zu denen auch die Nervenleitungen, viele andere biologische Systeme und eine Vielzahl chemischer Systeme gehören.

Um ein tieferes Verständnis des Lösungsverhaltens zu gewinnen, werden analytisch vornehmlich Bifurkationspunkte und Skalenlimites untersucht. Die dabei eingesetzten Verfahren (Zentrale Mannigfaltigkeit, Normalformtheorie, Skalentrennung, usw.) gestatten es, auch Bifurkationen höherer Kodimension zu untersuchen und analytische Lösungen in bestimmten Grenzfällen hinzuschreiben. Dies gilt insbesondere für Fronten und gut lokalisierte solitäre Strukturen, die sich in vieler Hinsicht wie Teilchen verhalten (dissipative Solitonen). Die Arbeiten werden durch umfangreiche numerische Untersuchungen auf Hochleistungsrechnern ergänzt.

In der Nähe des Punktes im Parameterraum, an dem stehende dissipative Solitonen zu laufenden dissipativen Solitonen bifurkieren (Drift-Bifurkation), gelingt die Reduktion der obigen Feldgleichung auf eine gewöhnliche Differentialgleichung, welche die Schwerpunktkoordinaten der dissipativen Solitonen als dynamische Variablen enthält. Darüber hinaus kann man zeigen, dass die Änderung der Form des dissipativen Solitons auch zu einer Drift-Bifurkation führen kann und dass stationäre lokalisierte Strukturen ohne Rotationssymmetrie (gebundene Zustände von dissipativen Solitonen) bei Parameteränderung in rotierende Strukturen übergehen (Rotations-Bifurkation). In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass die Mechanismen von Rotations- und Drift-Bifurkation identisch sind. - Mit diesen Arbeiten gelang es eine mathematische Untermauerung des Teilchenbildes für dissipative Solitonen zu geben. Auf Grund der Vereinfachung der Beschreibung der Dynamik dissipativer Solitonen mit Hilfe einer gewöhnlichen Differentialgleichung wird es erstmals möglich, aus dissipativen Solitonen bestehende Vielteilchensysteme zu untersuchen.

Bei allen Arbeiten wird größter Wert auf den engen Zusammenhang zwischen mathematischer und numerischer Behandlung der Modellgleichungen sowie das die Modellgleichungen beschreibende Experiment gelegt. Dabei stehen auch die in der Arbeitsgruppe Purwins untersuchten Gleich- und Wechselstrom-Gasentladungssysteme zur Verfügung.

Die Untersuchungen stellen einen Beitrag zur Erforschung universeller Gesetzmäßigkeiten der Strukturbildung in räumlich ausgedehnten nichtlinearen dissipativen Systemen dar. Damit werden tief greifende neue Erkenntnisse bezüglich einer großen Klasse von physikalischen, chemischen und biologischen Systemen gewonnen.

Drittmittelgeber:

Deutsche Forschungsgemeinschaft

Beteiligte Wissenschaftler:

Dr. S. Amiranashvili (Leiter), Dr. J. Berkemeier, Dipl.-Math. S. Gurevich, Dipl.-Phys. A.W. Liehr, Prof. Dr. H.-G. Purwins (Leiter)

Veröffentlichungen:

S.V. Gurevich, H.U. Bödeker, A.S. Moskalenko, A.W. Liehr and H.-G. Purwins
Rotational Bifurcation of Localized Dissipative Solitons
Europhysics Letters, 63, 361 (2003)

S.V. Gurevich, H.U. Bödeker, A.S. Moskalenko, A.W. Liehr and H.-G. Purwins
Drift bifurcation of dissipative solitons: Destabilization due to a change of shape
IEEE, International conference Physics and control, Proceedings, 922 (2003)

A.W. Liehr, A.S.. Moskalenko and H.-G. Purwins
Transition from Stationary to Rotating Bound States of Dissipative Solitons
in: Krause, E. (Hrsg.); W. Jäger, (Hrsg.): High Performance Computing in Science and Engineering 2003, (2003), S. 225-234

A.W. Liehr, A.S. Moskalenko, Yu. A. Astrov, M. Bode, and H.-G. Purwins
Rotating Bound States of Dissipative Solitons in Systems of Reaction-Diffusion Type
Eur.Phys.J. B37, 199 (2004)

H.U. Bödeker, A.W. Liehr, M.C. Röttger, T.D. Frank, R. Friedrich, H.-G. Purwins
Measuring the interaction law of dissipative solitons
New J. Phys., 6, 62 (2004)

De Lacy Costello, B.A. Adamatzky, N. Ratcliffe, A.L. Zanin, A.W. Liehr and H.-G. Purwins
The Formation of Voronoi Diagrams in Chemical and Physical Systems: Experimental Findings and Theoretical Models
Int.J. Bif. Chaos., 14 (7), 2187 (2004)

S.V. Gurevich, H.U. Bödeker, A.S. Moskalenko, A.W. Liehr and H.-G. Purwins
Drift bifurcation of dissipative solitons due to a change of shape: Experiment and theory
Physica D 199, 115 (2004)

H.-G. Purwins, H.U. Bödeker, A.W. Liehr
Dissipative Solitons in reaction-diffusion systems
in: Dissipative solitons, N. Akhmediev, A. Ankiewicz (eds.), Lectures Notes in Physics (2005)

 

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