Arbeitsbereich Prof. Dr. P. Zwitserlood
Morphologische Komplexität beim Sprachverstehen
Die Deutsche Sprache ist reich an morphologisch komplexen Wörtern. Für Flektion (Konjugation, Deklination) wird häufig angenommen, dass beim
Sprachverstehen die Wortstämme (z.B. Radio) von den Flektionsmorphemen getrennt, beim Sprechen Stämme und Flektionsmorpheme zusammengesetzt
werden. Dabei sollen nur die Wortstämme im mentalen Lexikon gespeichert sein. Für derivierte Wörter (herzlich, Krankheit) und Komposita
(Herzflimmern, Krankenschein) gilt Ähnliches: sie werden während des Sprachverstehens in Morpheme zerlegt und sind nicht als Ganzes im mentalen
Lexikon gespeichert. Dies gilt unabhängig von der semantischen Transparenz der komplexen Wörter (vgl. Hemdkragen und Geizkragen). In einer Reihe von
Experimenten mit Reaktionszeiten und evozierten Hirnpotentialen als abhängige Maße fanden wir Evidenz für die Wichtigkeit von Morphemen bei der
Worterkennung, für die Unabhängigkeit morphologischer Repräsentationen von der Semantik einerseits und von der silbischen Struktur der
Wörter, die auf einer prälexikalen Verarbeitungsebene eine Rolle spielt.