allgemeine Wirtschaftspolitik
Kollektive Willensbildung
Der wirtschaftspolitische Schwerpunkt des Instituts lag in den Jahren 2003 und 2004 im Bereich
"Kollektive Entscheidungen". Ein umfangreiches Projekt zu diesem Themenkomplex konnte im Berichtszeitraum
abgeschlossen werden, ein weiteres Projekt läuft noch bis zum Jahr 2006. Beendet wurde die Studie
"Kollektive Entscheidungen
in der Demokratie - Eine institutionenökonomische Analyse". Das mit
dem Stichwort der "Politikverdrossenheit"in der Öffentlichkeit diskutierte Phänomen der
Unzufriedenheit der Bürger mit den Verfahren, Ergebnissen sowie Akteuren des gegenwärtigen
demokratischen Systems scheint keine kurzfristige Verstimmung der Bürger zu sein, sondern auf
wesentliche Defizite des bestehenden Institutionengefüges hinzudeuten. Die Ursache des negativen
Erscheinungsbildes liegt offenbar in den strukturellen Problemen demokratischer Institutionen. Daher wird in
der Untersuchung die Frage gestellt, wie die grundlegenden Regeln einer Demokratie derart verändert
werden können, dass diese mit dem Legitimationsanspruch der Individuen in Einklang gebracht werden
können. Aus dem Blickwinkel der Neuen Institutionenökonomik wird ein erster Ansatz entwickelt,
die politischen Transaktionskosten, also die "Betriebskosten des politischen Systems" in ihren verschiedenen
Dimensionen für die Mitglieder einer demokratischen Gesellschaft transparent und einem Diskurs
zugänglich zu machen. Auf der Grundlage verfassungsökonomischer Überlegungen wird
verdeutlicht, wie alternative institutionelle Arrangements die politischen Transaktionskosten verändern
können. Folgende Ansätze für Reformen des bestehenden Institutionengefüges
werden aufgezeigt: Der politische Wettbewerb in einer (rein repräsentativen) Demokratie kann durch
zusätzliche Elemente direkter Demokratie gestärkt werden, weil den Bürgern neben der
periodisch stattfindenden Parlamentswahl zusätzliche Möglichkeiten gegeben werden, ihre
Repräsentanten zu sanktionieren sowie ihre eigenen Anliegen auf die politische Agenda zu setzen. Neben
der einfachen Mehrheitswahl existieren eine Reihe von innovativen Abstim mungsverfahren, mit denen die
Bürger ihre Präferenzen differenzierter als bisher ausdrücken können. Nicht zuletzt
fördert eine funktionale Differenzierung von kollektiven Entscheidungen auf verschiedenen
Jurisdiktionsebenen den politischen Wettbewerb. Die Intensivierung des Wettbewerbs auf politischen
Märkten, eine differenziertere Präferenz äußerung durch die Bürger sowie eine
funktionale Orientierung von Bereitstellungseinheiten stellen grundlegende Reformansätze dar, die eine
stärkere Bindung der Politik an die Wünsche der Bürger fördern und die
Funktionsfähigkeit einer Demokratie wesentlich verbessern können.
In
Bearbeitung befindet sich das zweite Projekt
"Kollektive Willensbildung und
Verbände in der Internetökonomie".
Volksbefragungen über das
Internet in den USA (vote.com) und Betriebsratswahlen in großen Deutschen Unternehmen über das
Internet (Dt. Telekom) deuten neben weiteren Beispielen darauf hin, dass neben die traditionellen
kollektiven Entscheidungsmechanismen neue Verfahren treten, die zu stärkerer Bürgerpartizipation
und mehr direkter Demokratie führen können. Diese Möglichkeit zu einem "Mehr" an direkter
Mitwirkung an der politischen (kollektiven) Willensbildung dürfte darüber hinaus auch die
bisherigen korporatistischen Strukturen mit ihren etablierten und über Jahrzehnte hinweg einflussreichen
Verbänden und Interessenorganisationen stark beeinflussen: Indem die digitale Revolution die
Verbände ihrer zentralen gesellschaftlichen Funktionen als Informationsvermittler, Sachverwalter von
Interessen und Übersetzer politischer Entscheidungen für eine breite Öffentlichkeit beraubt,
entzieht sie ihnen wesentliche Teile ihrer gesellschaftlichen Legitimation. Gleichzeitig verbessert sie durch den
Wegfall verbandsinterner Opportunismusrisiken die Möglichkeit einer unverzerrten Übertragung
des Bürgerwillens auf die politische Entscheidungsebene. Das Forschungsvorhaben ist nicht nur
theoretisch angelegt, sondern soll auch empirisch fundiert werden. Erste Beispiele dafür, welchen Einfluss
der Fortschritt der Informations- und Telekommunikationstechnik auf den Willensbildungsprozess
ausübt, finden sich bereits in verschiedenen Ländern, in denen die Bürger von Parteien und
Politik um ihre Meinung zu konkreten Sachentscheidungen befragt werden. Da elektronische Wahlen und
Edemocracy die Kosten der Partizipation für die Wahlberechtigten spürbar ver ringern,
können sie nicht nur den eigentlichen Abstimmungsprozess erleichtern, sondern auch
direkt-demokratische Elemente im Prozess der kollektiven Willensbildung begüns tigen. Dieser
Mechanismus setzt aber immer die Akzeptanz durch die Bürger voraus, welche nur durch Umfragen
erfasst werden kann. In einem ersten Schritt ist es gelungen, in Kooperation mit der Bundeszentrale für
politische Bildung einen Fragebogen zu entwickeln, bei dem die Bürger zu ihrer Einstellung zur direkten
Demokratie und zu elektronischen Wahlen befragt werden sollen. Die Bundeszentrale für politische
Bildung legt zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Februar 2005 ihren "Wahl-O-Mat" neu auf, in
dessen Anschluss die Befragung stattfinden soll.
Beteiligte Wissenschaftler:
Veröffentlichungen:
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