Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Forschungsbericht 2001-2002
 
Institut für Kernphysik

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Forschungsschwerpunkte 2001 - 2002

Fachbereich 11 - Physik
Institut für Kernphysik
Prof. Dr. D. Frekers


Kernphysikprozesse in Supernovae

Alle chemischen Elemente mit Ausnahme von Wasserstoff, Deuterium und Helium werden durch das “Brennen“ von Sternen synthetisiert. Zunächst werden in einer langen und ausgesprochen ruhigen “Brennphase“, welche je nach Sterngröße zwischen 1 Mio. und einigen 10 Mrd. Jahre anhält, leichte und mittelschwere Elemente erzeugt. Für die schweren und schnell brennenden Sterne kommt es dann am Ende der Entwicklung zu einer kataklysmischen Explosion, in deren Folge alle weiteren uns bekannten Elemente auf einer Zeitskala von nur etwa 10 Sekunden synthetisiert werden. Bei einem solchen Ereignis wird dann der größte Teil des Sternenmaterials in den interstellaren Raum geschleudert, wo er wieder zu neuen Sonnen und Sonnensystemen “verklumpen“ kann. Dieses bedeutet natürlich auch, dass wir unsere eigene Existenz einem solchen Ereignis, welches vor etwa 5 - 6 Mrd. Jahren stattgefunden hat, zu verdanken haben.

Die einzelnen Sternentwicklungsphasen sind heute gut bekannt und auch experimentell gut abgesichert. Ein “durchschnittlicher“ Stern “verbrennt“ zunächst während der längsten Zeit seines Lebens Wasserstoff zu Helium. Wenn der Wasserstoff verbraucht ist, erlischt diese Fusionsreaktion, und der Stern schrumpft unter seinem eigenen Gewicht in sich zusammen. Dabei steigt die Temperatur so lange, bis Fusion des Heliums in Kohlenstoff und Sauerstoff möglich wird. Er bläht sich wieder auf. Auch dieses Brennen stoppt irgendwann, und ein neue Kontraktion beginnt. Schwere Sterne mit Massen von mehr als etwa achtfacher Sonnenmasse erfahren mehrere solcher Phasen und enden in einer Art “stellaren Zwiebel“, deren Schalen von außen kommend aus immer schwereren Elementen bestehen. Die einzelnen Brennzyklen werden immer kürzer und heftiger und enden dann, wenn das Innere des Sterns lediglich aus Eisen/Nickel besteht. Eisen und Nickel sind die am stärksten gebundenen Kerne und stellen daher die ausgebrannte Asche eines Sterns dar. Weiteren “Brennstoff“ gibt es nicht, so dass der Stern sein Inneres durch das Brennen in den äußeren Schalen im Laufe der Zeit mit immer mehr Asche anreichert.

Der innere, aus Eisen/Nickel bestehende Teil des Sterns wird zunächst stabilisiert durch den “Entartungsdruck“ der Elektronen, welcher der Gravitation entgegenwirkt. Mit zunehmender Masse steigen jedoch gravitativer Druck und Temperatur und werden schließlich so hoch, dass die Atomkerne mit den Elektronen über den sogenannten “electron capture (EC)“-Prozess wechselwirken. Protonen wandeln sich dabei in Neutronen um und entziehen dem Stern zunehmend die ihn stabilisierenden Elektronen. Gleichzeitig werden Neutrinos erzeugt, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass Materie für sie nahezu transparent ist. Sie verlassen das Sterninnere zunächst ungehindert und tragen dabei gravitative Energie in Form von kinetischer Energie fort. Da nun die Zahl der Elektronen und damit der Entartungsdruck abnimmt, kommt es zu einem “Run-away“-Effekt. Der Stern implodiert ungehindert im freien Fall, und alle dynamischen Parameter, insbesondere die zu diesem Zeitpunkt noch vorhandene Zahl der Elektronen sowie auch die Gesamtenergie des Sterns, werden “eingefroren“. Im freien Fall werden Geschwindigkeiten bis etwa 30% der Lichtgeschwindigkeit erreicht, bis dieser Prozess bei Erreichen von Kernmateriedichten (p»1015 g/cm³) unvermittelt stoppt. Kernmaterie ist inkompressibel, so dass das einstürzende Material in Form einer Schockwelle wieder nach außen abprallt und dabei den gesamten Stern auseinanderreißt. Die Supernova explodiert! oder zumindest sollte sie es. Denn das Schicksal der Supernova entscheidet sich an diesem kritischen Punkt. Verantwortlich für die Energiebilanz ist nämlich, wie sich zeigt, nur ein einziger Parameter: die Zahl der Elektronen pro Baryon (= Proton + Neutron) zum Zeitpunkt, an dem der ungehinderte Kollaps einsetzt. Sind zuvor zu viele Elektronen im EC-Prozess in Neutrinos umgewandelt und ist durch deren Entweichen die Gesamtenergie zu sehr reduziert worden, ist eine Explosion nicht mehr möglich. Die genaue Kenntnis der EC-Raten für die Kerne in der Eisen/Nickel Gegend (A = 50 - 70) ist dabei von entscheidender Bedeutung. Diese Kenntnis ist z.Zt. aber nur lückenhaft, und in der Tat sind bislang alle Computersimulationen von Supernovae ohne ein “Fine-tuning“ nicht in der Lage, eine überzeugende Explosion zu generieren. Ob dafür lediglich ein Grund oder sehr viele Gründe verantwortlich sind, ist ebenfalls unklar. Nun zeigt sich, dass die Raten der EC-Prozesse auch in Laborexperimenten gemessen werden können. Hadronische Streuprozesse (z.B. die Proton-Kern-Streuung im Energiebereich zwischen 100 und 500 MeV) sind in einem bestimmten kinematischen Fenster sensitiv auf genau dieselben Wechselwirkungsoperatoren, welche den EC-Prozess beschreiben. In der Sprache der Kernphysik sind diese Prozesse unter dem Namen Gamow-Teller (GT) Übergänge, bzw. GT-Resonanzen bekannt. Um diese Prozesse zu beleuchten und deren Einfluss auf die Dynamik von Supernova-Explosionen zu verstehen, bedarf es umfangreicher Messungen mit dem Ziel, GT-Resonanzen zu identifizieren und zu lokalisieren. Ferner tragen Spin-Observable (z.B. in der (, ')-Streuung) oder insbesondere auch Messungen von Ladungsaustauschreaktionen (z.B. (d, ²He) Reaktionen) ganz entscheidend für das Verständnis der explosiven Phase eines Sterns bei.

Die Experimente hierzu werden am Kernfysisch Versneller Instituut (KVI) in Groningen durchgeführt. Zu diesem Zweck ist in den vergangenen Jahren von der EUROSUPERNOVA-Kollaboration (Deutschland, Belgien, Italien, Niederlande, und Dänemark) unter der Führung von Münster ein eigenes, neuartiges Detektorsystem für das große Magnetspektrometer BBS entwickelt und aufgebaut worden. Zu dem beschriebenen Themenkreis gibt es eine Vielzahl von Einzelprojekten mit umfangreichen Messprogrammen, welche zur Zeit im internationalen Vergleich mit konkurrenzloser Qualität durchgeführt werden können.

 
 

Hans-Joachim Peter
EMail: vdv12@uni-muenster.de
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Informationskennung: FO11EB01
Datum: 2003-06-24 ---- 2003-07-04