Forschungsbericht 1997-98   
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[Pfeile blau] Forschungsschwerpunkte 1997 - 1998
Fachbereich 09 - Erziehungswissenschaften
Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft
Internationale Bildungsforschung
 


Sprachpolitik und Strategien der Erstalphabetisierung

Angesichts der durch ausgeprägte Multilingualität charakterisierten Ausgangssituation in den meisten Staaten der Welt (über 4000 "lebende Sprachen" in rund 200 Staaten) hat jede Art von ("aktiver" oder "passiver") Sprachenpolitik weitreichende sozio-kulturelle Konsequenzen, u.a. für die Strukturierung der jeweiligen "Öffentlichkeiten" und ihrer Nähe oder Ferne zum Ideal der demokratischen Zivilgesellschaft. In diesem Zusammenhang spielt die Sprachenpolitik im öffentlichen Bildungswesen eine herausragende symbolische und praktisch-didaktische Rolle. Angesichts der großen Zahl von Ausgangssprachen auf Seiten der Lernenden ist die Option für ein schulisches Sprachenspektrum (insbesondere die Option für die dominierende(n) Unterrichtssprache(n)) immer gleichzeitig eine allgemeine Strategie der Einbeziehung und Ausgrenzung von Menschengruppen in ihrer je spezifischen sozio-kulturellen Klassenlage. Auf der analytischen Ebene des lernenden Individuums ist vor allem während des Anfangsunterrichts/der Erstalphabetisierung (indirekt aber auch weit darüber hinaus) von entscheidender Bedeutung für die Möglichkeit schrittweiser aufeinander aufbauender Lernfortschritte, ob an das Ausgangspotential der mündlich (mehr oder weniger) "gemeisterten" Herkunfts- oder Verkehrssprache(n) angeknüpft werden kann. Die hier beschriebenen Arbeitsvorhaben beziehen sich auf West-Afrika, spezieller die Situation in Senegal. Sie sind u.a. vor dem Hintergrund eines empirischen Forschungsprojekts über Lernerfolge im Grundbildungsbereich (Vergleich formaler öffentlicher und privater Grundschulen, sowie informeller moderner und traditioneller islamischer Schulen und staatlich geförderter Alphabetisierungskurse) und einer mehrjährigen Tätigkeit als Berater eines großen, von der Weltbank koordinierten Projekts zur Unterstützung der Grundbildung in Senegal entstanden. Auch knapp 40 Jahre nach der Unabhängigkeit ist in Senegal von der ersten Klasse an die einzige zugelassene und praktizierte Unterrichtssprache im formalen Bildungswesen das Französische, ohne jede didaktische Brücke von oder zu den von über 90% der Lernenden gesprochenen afrikanischen Herkunftssprachen. Nur in den informellen islamischen Schulen und in den Alphabetisierungskursen spielen die afrikanischen Sprachen eine größere oder zentrale Rolle. Die Weltbank und einige weitere internationale Bildungshilfe-Geber unterstützen zurückhaltend oder offen die Förderung der afrikanischen Sprachen, entscheidende Kreise der französischen Außen-, Bildungs- und Entwicklungspolitik blockieren dies offen oder versteckt in einer Koalition mit wichtigen Teilen der senegalesischen Politik und Verwaltung. Drei mögliche Arbeitsschwerpunkte wurden vorbereitet:

1) Mit einer Anschubfinanzierung der WWU hat J. Naumann als Koordinator zusammen mit einer Gruppe von Linguisten und Lehrern aus Dakar das Projekt eines Wörterbuches "Wolof-Français/Français-Wolof" mit je 35.000 Stichwörtern pro Ausgangssprache entwickelt. In Umfang und Ausstattung orientiert sich dieser Vorschlag am Beispiel der Langenscheidt-Schulwörterbücher. - Alle bisher existierenden Wolof- Wörterbücher bzw. Wortlisten sind wesentlich beschränkter (ca. 6000-8000 Stichwörter, häufig beschränkt auf einen traditionell-agrarischen Wortschatz, ohne Berücksichtigung der zahlreichen europäischen Lehnwörter in dieser in Senegal bedeutendsten Verkehrssprache). - Die UNESCO ist bereit, das Projekt (in finanziell begrenztem Maße) zu unterstützen; weitere Sponsoren werden gesucht.

2) Die Konferenz westafrikanischer Bildungsministerien (CONFEMEN) hat eine Reihe großer empirischer Forschungsprojekte über die Lernerfolge der SchülerInnen im formalen Grundschulbereich durchgeführt (PASEC, für die Fächer "Französische Sprache", Mathematik"), u.a. auch für Senegal. Dabei wurde die Abhängigkeit der Lernerfolge der SchülerInnen von ihrem sprachlichen und sozio-ökonomischen Herkunftsmilieu auf analytisch unbefriedigende Weise berücksichtigt. - Durch Reanalysen der zugänglichen Rohdaten soll die bisherige, durch konservative Interessen geleitete Auswertungspolitik substantiiert kritisiert werden.

3) J. Naumann hat in Zusammenarbeit mit dem staatlichen senegalesischen Bildungsforschungsinstitut INEADE vom senegalesischen Bildungsministerium die Erlaubnis erwirkt, im Grundbildungsbereich als Experiment didaktische Materialien zur Überbrückung der Kluft zwischen Herkunftssprache und Französisch als Unterrichtssprache/als Sprache der Schulbücher zu entwickeln. - Diese punktuell erwirkte Erlaubnis könnte u.U. bedeuten, daß das künftige mehrjährige Arbeitsprogramm von INEADE mit finanzieller Unterstützung der Weltbank unterschiedliche didaktische Experimente der Erstalphabetisierung unter Einbeziehung der afrikanischen Herkunftssprachen vorsieht (Modelle der Konsekutiv- oder Parallelalphabetisierung). Sollte sich dies als politisch durchsetzbar erweisen, könnten sich Kooperationsmöglichkeiten ergeben.

Drittmittelgeber:

Anschubfinanzierung Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Beteiligter Wissenschaftler:

Prof. Dr. J. Naumann
 
 
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Hans-Joachim Peter
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Datum: 1999-10-19