Forschungsbericht 1995-96 | |
Institut für Finanzwissenschaft Wilmergasse 6-8 Tel. (0251) 83 - 2 28 71 / 83 - 2 28 21 Direktoren: Prof. Dres. H. Grossekettler, I. Metze | |
Forschungsschwerpunkte 1995 - 1996 Fachbereich 04 - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Institut für Finanzwissenschaft Lehrstuhl Finanzwissenschaft I (Prof. Dr. H. Grossekettler) |
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Wettbewerbstheorie und -politik
In diesem Schwerpunkt werden am Lehrstuhl hauptsächlich Fragen behandelt, die das
sogenannte Konzept zur Koordinationsmängeldiagnose (KMD-Konzept) betreffen. Dieses
wurde von Prof. Grossekettler entwickelt und wird in Dissertationen angewendet und ausgebaut.
Es dient der Beurteilung der Funktionsfähigkeit von Märkten und zeigt, welche
funktionalen Marktprozesse es gibt, wodurch ihr Ablauf bestimmt wird, welche systematischen
und dauerhaften Funktionsstörungen (=Koordinationsmängel) auftreten
können, welche Kenngrößen zu ihrer Diagnose in der Erfahrungswelt
beobachtbar und wie die Verteilungen ihrer Werte beschaffen sind. Der derzeitige
Forschungsstand und die Erfahrungen mit der Durchführung von Marktanalysen sind in
einem Aufsatz von Prof. Grossekettler dargestellt worden. An einem
Operationalisierungshandbuch und einem Handbuch über in der theoretischen Literatur
angesprochene und in der Empirie beobachtete Funktionsstörungen von Marktprozessen
wird z.Z. gearbeitet. Die Forschungen in diesem Bereich profitieren davon, daß Prof.
Grossekettler Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des ifo Instituts ist.
1. Querschnittsuntersuchungen zum Verlauf der Marktprozesse in den Branchen des
Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland
Nach der Fertigstellung der Querschnittsuntersuchung zum Markträumungsprozeß
sind mittlerweile auch die Arbeiten zur Übermachterosion sowie zum Produkt- und
Verfahrensfort-schritt abgeschlossen worden. Auch die Untersuchung zur Renditenormalisierung
hat bereits zu Ergebnissen geführt, so daß die als Vorstufe für eingehende
detaillierte Marktstudien zu bewertenden Querschnittsuntersuchungen zur Funktionsweise der
Marktprozesse als nahezu beendet betrachtet werden dürfen. Dr. Schengber (jetzt
Produktmanager in der Nahrungsmittelindustrie) hat in seiner Arbeit ein Maß für
Marktmacht vorgeschlagen, das eine quantitative Abbildung des Inhalts rechtlicher Vorschriften
gestattet. Dazu werden die Werte der mit Hilfe des Exponentialindex gemessenen aktuellen
Konkurrenz um verschiedene machtbegründende oder -beschränkende
Einflußfaktoren wie die latente Konkurrenz, Finanzkraft und vertikale Bindungen
korrigiert. Die Auswertung der Prozeßmuster kann bei diesem auf der Ebene der
Sypro-Zweisteller insgesamt nur sehr langsam verlaufenden Prozeß mit Hilfe
autoregressiver Schätzfunktionen erfolgen. Dr. Sebbel-Leschke (jetzt Referentin beim
Westfälischen Sparkassen- und Giroverband) plädiert in ihrer Arbeit für die
Verwendung des Marktanteils neuer Produkte zur Beurteilung des Produktfortschritts. Ein
Vergleich mit nach Expertenansicht führenden Märkten wird aber dadurch
erschwert, daß der Indikator noch nicht weltweit erhoben wird. Der Verlauf der
Verfahrensfortschrittsprozesse läßt sich dagegen recht gut durch den Vergleich von
Entwicklung und Niveau der Arbeitsproduktivitäten im Untersuchungsland und auf einem
führenden Markt beobachten. Dabei hat sich gezeigt, daß in den meisten Branchen
des Verarbeitenden Gewerbes die anfänglich gegenüber den USA vorhandenen
Produktivitätsrückstände durch statistisch signifikante Aufholprozesse in
befriedigender Weise abgebaut werden.
2. Legale und legitime Kartelle
Dr. Dönnebrink (jetzt Referent im BMF) analysierte das Kartellrecht in Deutschland im
Lichte der Marktprozesse und ihrer Stabilitätsbedingungen. Mit Hilfe des
KMD-Konzeptes wird gezeigt, daß Kartelle Marktprozesse einerseits systematisch
beeinträchtigen, daß sie andererseits aber auch Koordinationsmängel heilen
können. Anhand der Ausnahmen vom allgemeinen Kartellverbot im deutschen Recht wird
jeweils aus ökonomischer Sicht analysiert, ob es legitime Gründe für die
Ausnahmen gibt und ob diese Gründe im deutschen und europäischen Recht
hinreichend berücksichtigt werden. Es wird gezeigt, daß die bisherige Kartelltheorie
nicht wirklich dynamisch ausformuliert ist.
3. Untersuchung der Funktionsweise der Mobilfunkmärkte in Deutschland
Dr. Kurtsiefer (jetzt Unternehmensberater in einer großen Beratergesellschaft) schildert die
Entwicklung dieser Telekommunikationsmärkte von staatlich geschützten
Monopolen hin zu Märkten mit Anbieterwettbewerb. Dabei konnte gezeigt werden,
daß auch Märkte, auf denen Güter mit Kollektivguteigenschaften gehandelt
werden, mit Hilfe des Konzepts zur Koordinationsmängeldiagnose auf die
Erfüllung der von Märkten geforderten Aufgaben überprüft werden
können.
4. Marktstudien
Mittlerweile sind quasi-ideale Indikatoren für alle Marktprozesse gefunden worden. Vor
diesem Hintergrund können nun Marktstudien durchgeführt werden, bei denen das
bisher zentrale Problem der Beschaffung aussagekräftiger Datenreihen als weitgehend
gelöst betrachtet werden kann. Die Branchenstudien erhalten eine deutlich erhöhte
Aussagekraft, da auch die Bewertung der gefundenen Prozeßmuster durch die
Bezugnahme auf Querschnittsuntersuchungen erheblich erleichtert wird. Nunmehr sollen die
Analysen auch auf der Ebene der Sypro-Viersteller durchgeführt werden. Damit
können dann nicht mehr nur ganze Branchen, sondern auch enger abgegrenzte
Produktmärkte auf die Erfüllung ihrer Koordinationsaufgaben
überprüft werden. Ein fundierter Einsatz des Untersuchungskonzepts in der
kartellrechtlichen Praxis erscheint damit in absehbarer Zukunft möglich. Eine erste
Marktstudie unter Verwendung der Idealindikatoren untersucht die Elektrotechnische Industrie
in Deutschland. Neben dem Herunterbrechen der Datenreihen auf die Vierstellerebene soll dabei
auch eine systematische Übersicht zu den Einsatzgebieten verschiedener
Befragungstechniken bei Branchenuntersuchungen entstehen.
5. Störungen von Marktprozessen
Dipl.-Vw. Hamker untersucht in seiner Dissertation Ursachen für unbefriedigende
Verläufe von Marktprozessen. Dazu wertet er zunächst die theoretische Literatur
aus. Die dort vorgetragenen Gründe für zumeist mit Hilfe der Wohlfahrtstheorie
diagnostiziertes Markt- und Wettbewerbsversagen werden daraufhin überprüft, ob
sie die Selbstregulierungsfähigkeit von Markträumungs-, Renditenormalisierungs-,
Übermachterosions- sowie Produkt- und Verfahrensfortschrittsprozessen
beeinträchtigen können. Dabei wird zwischen der Verursachung anhaltender
Ungleichgewichte und der Herbeiführung von aus volkswirtschaftlicher Sicht falschen
Aktivitätsniveaus unterschieden. Die empirische Relevanz der herausgearbeiteten
Störungsursachen soll durch Rückgriff auf Branchen- und Querschnittsstudien
belegt werden.
6. Systemwettbewerb
Frau Dipl.-Vw. Bläsing befaßt sich im Rahmen ihrer Dissertation mit der
Fragestellung, inwieweit die bei der Untersuchung von Gütermärkten gewonnen
Erkenntnisse auch auf den wettbewerbspolitischen Systemwettbewerb übertragen werden
können. Dabei wird insbesondere zu klären versucht, ob eine Harmonisierung der
nationalen Wettbewerbspolitiken in Europa angestrebt werden sollte oder ob angesichts der
gegebenen Ausgangsbedingungen ein Einsatz der Wettbewerbspolitik als Instrument im
Standortwettbewerb vorgesehen werden sollte.
Beteiligte Wissenschaftler:
Hans-Joachim Peter