Forschungsbericht 1995-96 | |
Institut für Finanzwissenschaft Wilmergasse 6-8 Tel. (0251) 83 - 2 28 71 / 83 - 2 28 21 Direktoren: Prof. Dres. H. Grossekettler, I. Metze | |
Forschungsschwerpunkte 1995 - 1996 Fachbereich 04 - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Institut für Finanzwissenschaft Lehrstuhl Finanzwissenschaft I (Prof. Dr. H. Grossekettler) |
||||
Finanzwissenschaft (speziell staatswirtschaftliche Allokationstheorie) und Verwaltungsökonomie
Im Rahmen dieses Forschungsschwerpunktes wird auf der Grundlage ordnungspolitischer
Vorstellungen mit Hilfe der finanzwissenschaftlichen Theorie der Einfluß staatlicher
Allokationsentscheidungen und Verwaltungsstrukturen auf die Volkswirtschaft untersucht. Die
Mitgliedschaft Prof. Grossekettlers im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums der
Finanzen erleichtert dabei die Auswertung sonst nur schwer zugänglichen Materials.
Forschungsschwerpunkte waren im Berichtszeit-raum die Weiterentwicklung
ordnungspoliti-scher Prinzipien und deren Anwendung auf verschiedene Bereiche der staatlichen
Wirtschaftstätigkeit. Speziell untersucht wurden Probleme der Finanzverfassung,
Privatisierung und Staatsverschuldung. Darüber hinaus wird an einer Verfeinerung des
Instrumentariums zur Beschreibung und Beurteilung staatlicher Tätigkeiten gearbeitet;
dies soll die Berichterstattung über die deutsche Finanzpolitik erleichtern, die Prof.
Grossekettler vom Finanzarchiv (dem Hauptpublikationsmedium der deutschsprachigen
Finanzwissenschaftler) übertragen worden ist. Außerdem war Prof. Grossekettler
Mitverfasser der Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der
Finanzen.
1. Weiterentwicklung ordnungspolitischer Prinzipien
Die Konkretisierung ordnungspolitischer Prinzipien und ihre Anwendung auf
wirtschaftspolitische Fragestellungen standen im Mittelpunkt mehrerer Aufsätze von Prof.
Grossekettler. In Anlehnung an ordoliberale Prinzipien münden sie in einem Katalog von
Kriterien, denen Ziele staatlicher Eingriffe und Maßnahmen zu ihrer Durchführung
genügen sollten. Es wird gezeigt, wie diese Kriterien auf Probleme der Wettbewerbs- und
Finanzpolitik angewendet werden können. Konkrete Anwendungsgebiete im Rahmen der
staatswirtschaftlichen Ordnungspolitik wurden bereits in einer Dissertation über die
Organisationen der Wohlfahrtspflege dargelegt und werden im Rahmen weiterer
Promotionsvorhaben zur Behandlung von Strukturkrisen, zur Entwicklung des Haushaltsrechts
als Reaktion auf Funktionsdefekte, zur Finanzverfassung der EU, zur Funktionsfähigkeit
gebietskörperschaftlicher Steuersysteme, zur Ausgestaltung des
Rentenversicherungssystems sowie zum Organisationsrecht staatlicher Organe untersucht.
Gegenwärtige Forschungsprojekte:
a) Struktur und Funktionsfähigkeit gebietskörperschaftlicher Steuersysteme
Die umfassende Steuerfinanzierung staatlicher Leistungen führt gegenüber einer in
den meisten Fällen ökonomisch sinnvolleren Entgeltfinanzierung zu
steuerbedingten Zusatzlasten (Excess burden). In einer Synthese von normativer Steuertheorie,
der Theorie des Fiskalföderalismus und unter Anwendung politikökonomischer
Überlegungen wird untersucht, nach welchen Prinzipien und Regeln ein rationales
Steuersystem in einer föderalistischen Finanzverfassung ausgestaltet sein sollte, um die
negativen Anreizwirkungen und Zusatzlasten einer Steuerfinanzierung zu minimieren.
Beteiligte Wissenschaftler:
b) Die Umstrukturierungsordnung als Rahmenvorschrift zur Heilung von Strukturkrisen
In der Vergangenheit hat sich vielfach gezeigt, daß punktuelle Hilfen des Staates bei
Strukturkrisen eher zu deren Konservierung als zu einer beschleunigten Bewältigung
geführt haben. Ziel der Arbeit ist es daher, den Ordnungsrahmen um eine
Umstrukturierungsordnung zu erweitern, d.h. in die bestehende Wirtschaftsordnung einen
Automatismus zu implantieren, welcher beim Auftreten von Strukturkrisen aktiviert wird. Er soll
Maßnahmen des Staates auslösen, die geeignet sind, zur Heilung von Strukturkrisen
beizutragen. Dabei wird auf einen dynamischen Struktur(krisen)begriff der Systemtheorie
zurückgegriffen, der zu den Untersuchungen zur Dynamik der Wirtschaftsstruktur
paßt, die am Lehrstuhl gepflegt werden.
Beteiligte Wissenschaftler:
c) Die Entwicklung des Haushaltsrechts als Reaktion auf Funktionsdefekte
In dieser Studie wird untersucht, wie sich das Haushaltsrecht von seiner Entstehung bis heute
entwickelt hat. Dabei wird von den Budgetfunktionen ausgegangen, die das Haushaltsrecht nach
heutiger Ansicht zu erfüllen hat bzw. hatte. Vor diesem Hintergrund wird geprüft,
ob auf Funktionsmängel im politisch-administrativen System in Vergangenheit und
Gegenwart mit Reformen reagiert wurde bzw. wird. Die Haushaltsrechtsreformen werden
daraufhin untersucht, ob sie die Funktionsmängel beseitigen konnten. Darüber
hinaus geht es in der Arbeit darum, welche Gründe dafür verantwortlich sind,
daß einerseits manche Funktionsdefekte bestehen blieben, obwohl Reformen
durchgeführt wurden, und andererseits notwendige Reformen gescheitert sind
Beteiligte Wissenschaftler:
2. Finanzverfassung
Im Rahmen der Anwendung ordnungspolitischer Grundsätze und der
Kollektivgütertheorie werden Anforderungen an eine Finanzverfassung formuliert.
Insbesondere werden die Bereitstellungsaufgaben und -kompetenzen des Staates im
Allokations-, Distributions- und Stabilisierungsbereich normativ untersucht, aus denen sich
Regelungsdefizite der geltenden Finanzverfassung ableiten lassen. Hier liegen die konkreten
Anknüpfungspunkte der Arbeiten zu gebietskörperschaftlichen Steuersystemen und
zur EU-Finanzverfassung.
3. Privatisierung und Deregulierung
Die ordnungspolitischen Grundsätze werden auf die Fragen der Privatisierung,
Deregulierung und Entbürokratisierung angewendet. Besonderes Gewicht wird dabei auf
die ökonomische Begründung der Anwendung des öffentlichen Dienstrechts
gelegt. Auf diese Weise wird dessen legitimer Einsatzbereich abgesteckt, und es wird eine
Verknüpfung mit dem sogenannten Neuen Steuerungsmodell für öffentliche
Verwaltungen hergestellt.
4. Ordnungsdefizite im Bereich der öffentlichen Verschuldung und Ansätze zu
deren Beseitigung
Mit der öffentlichen Verschuldung setzte sich Dr. Funke auseinander (jetzt Finanzreferent
der Stadt Münster). Es werden dazu die wesentlichen Aspekte des Ordnungsdefizits im
Bereich der Verschuldungspolitik diagnostiziert. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der
Entwicklung eines ordnungspolitischen Lösungsansatzes zur Eingrenzung der
öffentlichen Verschuldung. Der Lösungsvorschlag ist verfahrensorientiert und
verlangt die Beachtung ökonomischer Grundsätze im Prozeß der
regierungsinternen Willensbildung über den Einsatz der Kreditfinanzierung, der
parlamentarischen Haushaltsgesetzgebung und der Kontrolle über die
Beschlußrealisation. Die mit dem Vertrag von Maastricht verbundenen Fragen einer
staatlichen Verschuldungsbegrenzung werden in anderen Arbeiten von Prof. Grossekettler
angesprochen. Dabei werden Wege herausgearbeitet, wie die Regelungen des Maastrichter
Vertrages ökonomisch sinnvoll und verfassungsrechtlich zulässig implementiert
werden können.
5. Weiterentwicklung des Beurteilungsinstrumentariums staatlicher Tätigkeit
Zur Beurteilung staatlicher Maßnahmen gibt es eine Reihe von Kennziffern und
Untersuchungsmethoden. Die adäquate Abbildung des Umfangs staatlicher
Tätigkeit ist vor dem Hintergrund der Klagen über unangemessene Belastung der
privaten Wirtschaft eine wichtige Aufgabe. Prof. Grossekettler macht zu diesem Problemgebiet
in den nachfolgend genannten Publikationen einige neue Vorschläge. Ökonomisch
sinnvolle Einsatzgebiete für die verschiedenen Arten von Kosten-Nutzen-Untersuchungen
werden für das Beispielgebiet der Bewertung von Gesetzgebungsmaßnahmen im
Verkehrsbereich in einem weiteren Promotionsvorhaben abgegrenzt.
6. Verbandsorganisationsform Genossenschaft
Als eine Verbindungsstelle zwischen den beiden Hauptforschungszweigen Allokations- und
Wettbewerbstheorie läßt sich die Organisationsform Genossenschaft bezeichnen.
Die Rolle dieses Verbandstyps bei der Bereitstellung von Kollektivgütern im Falle eines
Versagens der wettbewerblichen Angebotsorganisation wird in dieser Forschungsrichtung
herausgearbeitet.
Beteiligte Wissenschaftler:
Veröffentlichungen:
Hans-Joachim Peter