Eine der klassischen Fragen der Politikwissenschaft bemüht sich um die Klärung der Frage, wer unter welchen Bedingungen welche Art von Umverteilung von Einkommen befürwortet. Umverteilung in Form von Besteuerung und Sozialabgaben auf der Einen und Sozialleistungen auf der anderen Seite sind ein zentraler Aspekt politischer Auseinandersetzung. Auch in Deutschland nimmt die politische Debatte rund um die Finanzierung der Rentenversicherung, steigender Krankenversicherungsbeiträge und allgemeiner Finanzierungsschwierigkeiten der öffentlichen Hand, angetrieben auch durch steigende Sozialausgaben, an Fahrt auf. Während in den 90er Jahren die Analyse auf den möglichen Abbau des Sozialstaats fokussierte, so zeigt sich in der Gegenwart ein erstaunlich resilienter Wohlfahrtsstaat der in den letzten zwei Jahrzehnten durch neue Leistungen (z. B. Elterngeld, Mütterrente, „Rente mit 63“) sogar deutlich ausgebaut wurde.

 

Aber wer will eigentlich welchen Grad von Umverteilung und ist bereit, dafür zu bezahlen? In einer Demokratie sind für den Willensbildungsprozess die Präferenzen der Wählerinnen und Wähler wichtig.

 

Ein Ausgangspunkt für die Analyse der Frage welchen Grad an Umverteilung die Wählerinnen und Wähler in Demokratien wollen, bieten klassische rational-choice Ansätze. Die Annahme hier ist, dass diejenigen Wähler, die unter dem Medieneinkommen liegen, Umverteilung befürworten, weil sie davon profitieren. Je weiter das Medianeinkommen vom durchschnittlichen Einkommen entfernt ist, also je größer die Vermögensungleichheit ist, desto stärker ist die Nachfrage nach Umverteilung (Meltzer und Richard, 1981). Letzteres zeigt sich jedoch empirisch häufig nicht: In den Ländern, in denen die Einkommensungleichheit hoch ist, ist die Umverteilung eher niedrig (Robin-Hood-Paradox). Warum stimmen Menschen mit geringerem Einkommen nicht einfach geschlossen für mehr Umverteilung, obwohl sie zahlenmäßig die einkommensstarken bzw. von Vermögen lebenden Menschen überstimmen könnten?

 

Abseits institutioneller Einschränkungen wie dem Wahlrecht, Lobbymacht und geringerer Wahlbeteiligung bei ärmeren Menschen, ist die Frage, wer eigentlich welchen Grad an Umverteilung will, viel komplexer als in früheren Modellen angenommen. Sie hängt unter anderem auch vom Grad der Informiertheit über die eigene Einkommenssituation und Aufstiegsmöglichkeiten in der Gesellschaft ab, ist beeinflusst von Unsicherheit, und auch der Grad und die Art von Ungleichheit beeinflussen, welchen Grad von Umverteilung Wählerinnen und Wähler präferieren.

 

Wir werden uns in diesem Seminar mit neuerer wissenschaftlicher Literatur beschäftigen, die uns weitere Einblicke in den Forschungsstand zur Frage eröffnet, wer eigentlich warum welchen Grad an Umverteilung will und welche Bedingungen dies beeinflussen. Ziel soll sein, durch gründliche Lektüre Einblicke in aktuelle wissenschaftliche Diskurse zu erhalten und diese sicher argumentativ anzuwenden. Grundlegende Statistikkenntnisse sind von Vorteil, da die Literatur quantitativ empirisch arbeitet.

 

Als Studienleistung ist in der Gruppe ein Text als Referat vorzustellen. Als Prüfungsleistung ist eine Hausarbeit im Umfang wie in der PO vorgegeben, anzufertigen.

 

Das Seminar wird als Blockveranstaltung angeboten, aufgeteilt auf zwei Wochenenden. Die Einführungssitzung findet digital via Zoom statt.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WT 2025/26
ePortfolio: No