Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) veröffentlichte sein programmatisches Werk Vom Gesellschaftsvertrag im Frühjahr 1762. Im Unterschied zu anderen seiner Schriften erfuhr es zu Rousseaus Lebzeiten nur wenig Auf­merk­samkeit. Erst die Französische Revolution führte in den 1790er Jahren zu einem brei­ten Interesse an diesem schmalen Buch. Vielen galt es als „Bibel“ der Revolution; heute ist es ein Klassiker der Politischen Philosophie. Mit den von Rousseau explizierten Begriffen des Souveräns und der bürgerlichen Freiheit, mit seiner Unterscheidung zwischen dem Wollen aller (volonté de tous) und dem Gemeinwillen (volonté générale) und schließlich mit seiner Neuformulierung der Vertragsidee entwickelte er ein begriff­liches Gerüst, das sich heute sowohl in der Rechtswissenschaft als auch in Philosophie, Soziologie und Politik­wissenschaft als fester Bezugspunkt des Nachdenkens über das Verhältnis von Gesellschaft, Staat, Recht und Demokratie etabliert hat.

Das Seminar hat zwei Ziele: Erstens will es mit diesem Grundlagentext vertraut machen, zweitens bietet es eine Ein­führung in das philosophische Argumentieren. Denn Rousseau ist nicht nur ein hervorragender Stilist, sondern auch ein leidenschaftlicher Argumentierer. Mit hoher gedanklicher Stringenz präsentiert er hier einige paradigmatische Argumente, die die neuzeitliche Politische Philosophie geprägt haben. Rousseau argumentiert dafür, dass wir durch das Einwilligen in den Gesellschaftsvertrag unsere natürliche Freiheit gegen die bürgerliche Freiheit eintauschen – und dass dieser Tausch guter Tausch ist, den kein vernünftiger Mensch zurückweisen sollte. In diesem Zusammenhang legt der – bereits 1762! – eine Argumentation gegen die Sklaverei vor und er versucht nachzuweisen, dass die traditionell dem Sophisten Kallikles zugeschriebene Rede vom „Recht des Stärkeren“ nicht nur inhaltlich problematisch, sondern aus begrifflichen Gründen Unsinn ist.

Im Seminar werden wir diese und andere Argumente Rousseaus intensiv diskutieren. Zu­dem ziehen wir geeig­ne­te Sekundärliteratur hinzu, die die argumentative Struk­­tur der jeweiligen Textstücke erläutert und einen aktuellen Zugang zu den Kernthesen und Schlüsselargumentationen des Werks er­öffnet. Schließlich werden wir in konkreten Übungseinheiten lernen, Rousseaus zentrale Argumente eigenständig zu iden­ti­fizieren und zu rekonstruieren.

Eine deutsche Übersetzung von Rousseaus Originaltext ist in ein- und zweisprachigen Ausgaben leicht greifbar; alle zugänglichen Über­setzungen können als Textgrundlage verwendet werden.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2025/26
ePortfolio: Nein