Die deutsche Literatur des Mittelalters unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von den Erwartungen, die heutige Leserinnen und Leser mit der Lektüre moderner oder postmoderner Texte verknüpfen. Schon die historischen Produktionsbedingungen sorgen dafür, dass mittelalterliche Textgattungen in aller Regel auf die Interessen und Bedürfnisse der gesellschaftlichen Eliten zugeschnitten sind: Beschreibstoffe sind teuer, Lese- und Schreibfähigkeit sind insbesondere zu Beginn des Mittelalters im deutschsprachigen Raum nur in kleinen (meist klerikalen) Kreisen vorhanden, während ein Großteil der Bevölkerung keinerlei Berührungspunkte mit Schriftlichkeit hat. Dennoch entfaltet sich spätestens bis zum Ende des 12. Jahrhunderts eine reichhaltige und kunstvolle literarische Tradition in der Volkssprache, die neben verschiedensten geistlich-religiösen Inhalten insbesondere auch der Inszenierung und Selbstvergewisserung des höfischen Adels dient. Neben Fragen nach den notwendigen Bestandteilen und Herausforderungen einer ritterlich-höfischen Existenz behandelt die mittelalterliche Literatur auch überzeitlichere Themen wie die Schwierigkeit, individuelles Begehren mit gesamtgesellschaftlichen Anforderungen an den oder die Einzelne/n in Einklang zu bringen oder fragt nach angemessenen Interaktionsformen zwischen den Geschlechtern.

 

Dieses Seminar soll einen ersten Überblick über die unterschiedlichen Formen und Gattungen bieten, die die frühe deutsche Literatur ausbildet. Dabei sollen auch wesentliche Unterschiede zu den Funktionsweisen moderner Texte erklärt, und so der Umgang mit historisch und kulturell fremden literarischen Traditionen eingeübt werden.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WT 2025/26
ePortfolio: No