In den 2010er-Jahren erscheinen innerhalb eines kurzen Zeitraums fünf Dokumentarfilme, in deren Zentrum Geschichten der Gewalt stehen: Callum Macraes “No Fire Zone: In the Killing Fields of Sri Lanka” (2013) über den Genozid an Tamil*innen in Sri Lanka, Rithy Panhs “L’Image manquante” (2013) und Davy Chous “Le Sommeil d’Or” (2012) über den Massenmord der Roten Khmer in Kambodscha und Joshua Oppenheimers Diptychon über das von der indonesischen Regierung verübte Massaker 1965-66 (“The Act of Killing”, 2012 und “The Look of Silence”, 2014). Mit den Dokumentationen, Aufarbeitungen und Inszenierungen historischer Verbrechen gehen neuerliche Bestimmungen der Wirksamkeit des Mediums Film und dessen Mitteln einher, mit deren Untersuchung wir uns im Seminar beschäftigen werden. Verhandelt werden etwa das Verhältnis des Mediums zur Oral History, die durch es entstehenden Möglichkeiten der Zeugenschaft, seine Funktion als Archiv, sowie die Praxis des Reenactments und die verschiedentlichen Perspektivierungen durch Erinnerung oder ‘Reliving’. Eben jenes Konzept des ‘Reliving’ hatte Claude Lanzmann vor 40 Jahren auf unnachgiebige Weise in “Shoah” (1985) umgesetzt, der Ausgangspunkt unserer Auseinandersetzungen ist.

Der Film als letzte Instanz zur Dokumentation prekärer Geschichte und Geschichten der Prekarität fordert uns zugleich dazu heraus, dessen Eigensinn und Handlungsmacht in den Blick zu nehmen. Welche Hegemonien und Ordnungen der Sichtbarkeit werden im filmischen Bild konstruiert und welche Ansprüche und Absagen an bildethische Vorstellungen lassen sich im Zuge der notwendigen Konfrontation mit den Abgründen der vergangenen 50 Jahre formulieren?

Literatur:

Ariella Aïsha Azoulay, The Civil Contract of Photography, New York 2008. /// Roland Barthes, Schockphotos, in: Ders., Mythen des Alltags, Frankfurt am Main 1964, S. 55-58. /// Gertrud Koch, Ora Wiskind, The Angel of Forgetfulness and the Black Box of Facticity: Trauma and Memory in Claude Lanzmann’s Film ‘Shoah’, in: History and Memory, 1991, Vol. 3, Nr. 1, S. 119-134. /// Lúcia Nagib, Realist Cinema as World Cinema. Non-cinema, Intermedial Passages, Total Cinema, Amsterdam 2020. /// Susan Sontag, Regarding the Pain of Others, New York 2004.

Semester: WT 2025/26