Zwischen 1809 und 1811 werden vier Komponisten geboren, die im Urteil der späteren Musikgeschichtsschreibung zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der Romantik zählen: Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847), Frédéric Chopin (1810-1849), Robert Schumann (1810-1856) und Franz Liszt (1811-1886). Frédéric Chopin erreicht bei Pianisten und Publikum schnell ein hohes Maß an Anerkennung. 25-jährig ist er eine europaweit geschätzte Persönlichkeit als Pianist und Komponist. Substanz und Farbenreichtum seiner Werke, die Schönheit, Stärke und Prägnanz seiner Einfälle und deren Einbindung in neue Formgebungen haben bei den Zeitgenossen eine überwiegend euphorische, vereinzelt auch verstörende Wirkung. Charakteristisch für viele seiner Werke ist ein signifikant polnischer Tonfall (Polonaisen, Mazurken), bei anderen Kompositionen sind es die französischeNoblesse (Impromptus, Walzer, Préludes) oder einfließende Elemente der italienischer Opern etwa Bellinis (Nocturnes), die Chopin als den eigentlichen Begründer des Belcanto auf dem Klavier ausmachen. Pianistisch erweitert er die Ausdrucksmöglichkeiten des Instruments um bis dahin nicht geahnte Möglichkeiten, die in den unter Klavierspielern gefürchteten, unstrittig besten und klangschönsten Etüden, die es gibt, zusammengefasst sind. Chopin ist bis heute der beliebteste und meistgespielte Klavierkomponist überhaupt.

Im Seminar soll ein Einblick in die Musikwelt des frühen 19. Jahrhunderts und die Pariser Salonkulturder 1830/40er Jahre erarbeitet werden, Aspekte aus Leben und Werk Chopins, seine verschiedenen Gattungen und Werkgruppen werden durch Referate vorgestellt, auch ein Blick auf die Interpretationsgeschichte und den berühmten alle fünf Jahre - so auch im Oktober dieses Jahres wieder - stattfindenden Warschauer Chopin-Wettbewerb soll nicht fehlen. Das Thema Musik-Wettbewerb bzw. Instrumental-Wettbewerb könnte im Seminar ebenfalls diskutiert werden. Während ein Großteil der musikpädagogischen Wissenschaftler die Klassische Musik im Aussterben befindlich sieht, werden es weltweit immer mehr junge Menschen, die mit unendlichem Fleiß und Disziplin ihr Instrument üben, um vielleicht irgendwann an Wettbewerben teilzunehmen und Berufsmusiker werden zu können. Der Chopin-Klavierwettbewerb in Warschau ist unter den etwa 1.000 internationalen Musikwettbewerben meines Wissens der einzige große Wettbewerb, der ausschließlich Werke von Chopin verlangt, Klavierwerke anderer Komponisten kommen nicht vor. Wobei man sagen muss, dass es inzwischen eine Fülle kleinerer Chopin-Wettbewerbe gibt, meistens nationale, die als Vorbereitung zum Internationalen Warschauer Wettbewerb dienen. Es ist für viele angehende Konzertpianisten das höchste Ziel, nach vielen Hürden in Warschau teilnehmen zu dürfen, es ist der wichtigste Klavier-Preis der Welt. Viele später weltberühmte Pianisten haben hier Preise bekommen. Das gibt uns - und gerade den Seminarteilnehmern - auch die Möglichkeit, Repertoire kennenzulernen, der Wettbewerb wird natürlich im Internet übertragen, drei Wochen lang.Pädagogisch gesehen werfen Wettbewerbe von je her die Frage auf, wie vergleichbar musikalische und instrumentaltechnische Leistungen sind, und ob das alles nicht abgleitet in eine Art Massen-Tastensport, immer schneller immer perfekter, wobei viele wesentliche Aspekte der Musik möglicherweise auf der Strecke bleiben. Darüber werden wir diskutieren.


Wer an dem Seminar teilnehmen möchte, sollte sich mit Chopins Lebensweg vertraut machen und wenigstens einige seiner Werke sowie bekannte Chopin-Interpreten kennen. Planung und Verteilung der Referatsthemen erfolgen am Beginn des Seminars. Ein Seminar Apparat mit den wichtigsten Titeln der Chopin-Literatur wird eingerichtet. Weitere Materialien werden entsprechend ins Learnweb gestellt. Zum Thema Literatur noch ein Hinweis: Im Jahre 2018 ist ein Buch erschienen, das für alle, die an Chopin, seiner Zeit und Klaviermusik allgemein interessiert sind, ein wahrer Paukenschlag war. Die Autorin Uta Goebel-Streicher hat ein Werk veröffentlicht, auf das man in Fachkreisen schon lange wartete, und das kam so: Die junge sehr begabte Pianistin Friederike Müller aus Wien hat zwischen 1839 und 1845 bei Chopin in Paris Unterricht genommen und über fast jede dieser vielen Klavier-Lektionen unmittelbar per Brief ihren Verwandten in Wien berichtet. Dass diese vielen Briefe irgendwo archiviert waren, ahnte man, aber sie schienen lange nicht auffindbar. Das gelang schließlich der Autorin, so dass sie mit der Arbeit beginnen konnte. Wir haben also einen unschätzbaren Einblick nicht nur in die pädagogische Arbeit eines der größten Klavier-Komponisten der Musikgeschichte und seine persönliche Privatsphäre, sondern auch aus persönlicher Sicht in die musikgeschichtlich, kulturhistorisch und politisch hochbrisante Zeit unter dem französischen „Bürgerkönig” Louis-Philippe in der sogenannten Julimonarchie (1830-1848) sowie in die Salon-Kultur und das künstlerisch reichhaltige und pulsierende gesellschaftliche Pariser Leben in diesen Jahrzehnten.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2025/26
ePortfolio: Nein