„Drittes Reich“ oder „Unternehmen Barbarossa“ – schon diese zwei zentralen Begriffe aus der NS-Zeit machen deutlich, welche enorme symbolische Bedeutung dem „ersten Reich“ im Mittelalter und seiner „Kaiserherrlichkeit“ durch den Nationalsozialismus zugeschrieben wurde. Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Regimes musste sich die vielfach zur Handlangerin gewordene Mediävistik daher neu orientieren und machte sich auf die Suche nach einer vorgeblich ‚krisensicheren‘ Geschichte, die unangefochten sein sollte von den politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart. Im 21. Jahrhundert freilich zeigt sich, dass diese Vorstellungen Illusion bleiben: Der massenhafte Aufstieg neuer rechter Bewegungen und ihrer Ideologien – sowohl weltweit als auch in Deutschland und seinen Nachbarländern – führt zu einer erneuten und teils aggressiven Politisierung unserer Geschichtsbilder vom Mittelalter.

 

Ziel des Seminars ist es, gemeinsam einschlägige Texte etwa von Björn Höcke und Alexander Gauland oder dem norwegischen Attentäter und Massenmörder Anders Breivik zu lesen und zu analysieren. Dabei wollen wir sie ins Verhältnis setzen zum aktuellen Forschungsstand der wissenschaftlichen Mediävistik und uns zugleich Kontextwissen aneignen über die Instrumentalisierung des Mittelalters seit dem 19. Jahrhundert. Im Fokus soll die Frage stehen, welche Intentionen und Zwecke mit diesen Mittelalter-Beschwörungen verfolgt werden, aber auch, ob und wie in Zeiten scharfer gesellschaftlicher Polarisierung das Verhältnis von wissenschaftlicher Forschung über scheinbar ferne Vergangenheiten und der politischen Meinungsbildungsprozesse in der Gegenwart neu zu bestimmen ist. Voraussetzung zur Teilnahme an dieser auf Diskussion und Austausch basierenden Veranstaltung ist die Bereitschaft zur Vorbereitung der Texte und zur regelmäßigen Anwesenheit im Kurs.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2025/26
ePortfolio: Nein