Zwischen Juli und November 1942 wurden circa zwei Millionen Menschen – an jedem Tag etwa 20.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder – von den Nationalsozialisten ermordet. Bis zum Ende des Krieges hatten die Deutschen und ihre Helfershelfer etwa 5,7 Millionen Juden und Jüdinnen ermordet und den Tod von insgesamt zwischen 12 und 14 Millionen Zivilisten außerhalb von Kampfhandlungen zu verantworten. 1945 lag Europa nicht nur wortwörtlich in Ruinen, es stand vielmehr auch vor dem Trümmerhaufen seiner vermeintlichen Zivilisation. Die dunkle Nacht, mit der die Vorlesung im vergangenen Wintersemester endete, bildet also den Hintergrund, vor dem in diesem Semester das Bild der folgenden viereinhalb Jahrzehnte gezeichnet werden soll. Die Vorlesung fragt nach dem Vermächtnis des Krieges – nicht zuletzt nach den circa elf Millionen Versprengten, die er hinterließ. Sie nimmt den wirtschaftlichen Aufschwung, die Etablierung der Konsumkultur, den Ausbau des Sozialstaats wie die Modernisierung in den Blick, die die Signatur der sogenannten „dreißig glorreichen Jahre“ (Jean Fourastié) bildeten, thematisiert aber auch das Verschwinden der bäuerlichen Welt. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen selbstverständlich der Kalte Krieg, die Dekolonisation, die Liberalisierung, Demokratisierung wie der Fortbestand von Diktaturen, aber wir blicken auch auf die geistigen und kulturellen Strömungen der langen Nachkriegszeit – etwa den Neorealismus, Existenzialismus, Freudomarxismus und (Post)Strukturalismus. Der Vorlesung liegt nicht zuletzt die Frage zugrunde, ob sich diese Geschichte anders als bislang erzählen lässt, denn es handelte sich keineswegs nur um eine Erfolgsgeschichte.
- Lehrende/r: Fernando Esposito