Obwohl in der neutestamentlichen scientific community gut vernetzt und über mehrere Jahrzehnte Hochschullehrerin in Münster, ist Helga Rusche (geb. 23. August 1913 in Bremen, gest. 21. September 1996 in Jerusalem) heute nur mehr wenigen bekannt. Das ist aus vielen Gründen bedauerlich, markiert die Biographie und das vor allem bibelpastoral ausgerichtete Werk Rusches doch prägende Entwicklungslinien der katholischen Exegese im 20. Jahrhundert: Als Promovendin von Martin Dibelius (1883–1947) in Heidelberg und durch ihre spätere Konversion verband sie evangelische und katholische Theologie; als Frau war sie in mehreren männlich besetzten Kontexten „die Erste”.
Das Hauptseminar setzt sich auf der Basis von Rusches Publikationen einerseits und bislang unveröffentlichen Archiv- und Nachlassmaterialien andererseits mit ihren exegetischen und theologischen Argumenten wie auch mit wesentlichen Stationen und Entscheidungen ihrer Biographie in exegesegeschichtlicher Perspektive auseinander. Je nach Anzahl und Interesse der Teilnehmenden ist auch die Vorbereitung einer biographischen Dokumentation (z.B. Ausstellung, Kurzfilm) geplant.
Zur ersten Information sei Johannes N. Nützels Eintrag zu Rusche in BBKL XXXVI (2015), 1144–1146, zitiert: „1934 Abitur in Hamburg, anschließend Studium der evangelischen Theologie in Marburg, Bethel, Heidelberg, Berlin und wieder Heidelberg. 1943 Promotion zum Dr. theol. in Heidelberg. Enge Verbindung mit den Familien von Martin Dibelius und Gerhard von Rad, mit denen sie noch bis in die 1980er Jahre in Briefwechsel stand. 1943-1951 Seelsorgstätigkeit als Vikarin in der Hannoverschen Landeskirche. 1951 Konversion zur katholischen Kirche. Danach Studium der katholischen Theologie in München und Münster, Abschluss mit Diplom in Religions- und Missionswissenschaft. Stationen ihres weiteren beruflichen Werdegangs: Assistentin in der kath. Hochschulgemeinde in Münster, Assistentin am Kath.-Ökumenischen Institut der Universität Münster, Gastprofessorin an der Marquette-University in Milwaukee/USA. 1960-1974 Schriftleiterin von Bibel und Leben. 1968-1982 Lehrtätigkeit an der Phil.-Theol. Hochschule der Franziskaner und Kapuziner in Münster, 1982 Emeritierung als Professorin.
Das Hauptinteresse von H.R. galt der Vermittlung wissenschaftlicher Forschung in der akademischen Lehre, in reicher Vortrags- und Predigttätigkeit. Auch ihre zahlreichen geistlichen Anregungen in der Ordenszeitschrift der Franziskaner (Bruder Franz), in Kalendern, Gebet- und Gesangbüchern und im Schott-Messbuch zeugen von diesem Grundanliegen. Ihre ausgezeichnete Kenntnis der Bibel, der Kirchenväter, der Apokryphen, der lateinischen, der byzantinischen und der äthiopischen Liturgie ermöglichte ihr ein breites Themenspektrum. In Deutschland, Südtirol und Israel war sie eine geschätzte Referentin in der Bildungsarbeit, besonders in Ordensgemeinschaften. In der Kapuzinerkirche in Münster und in verschiedenen Schwestern-Mutterhäusern und von Schwestern geleiteten Krankenhäusern durfte sie mehrere Jahre hindurch predigen - damals eine große Ausnahme in der katholischen Kirche! - Ein Herzensanliegen von H.R. war die Beziehung zum Judentum. Regelmäßige Besuche mit ihren Studenten in der Synagoge zu Münster und Seminare zur Einführung in jüdische Lebensweise und jüdisches Brauchtum dienten diesem Ziel. Lange Zeit besuchte sie jährlich ein- bis zweimal jährlich Israel. Dass sie in Jerusalem auch starb, darf als glückliche Fügung gesehen werden. Begraben ist H.R. auf dem Zentralfriedhof in Münster.”
- Lehrende/r: Wolfgang Grünstäudl