Die Gegenwart wird oftmals als eine Zeit ‚multipler Krisen‘ gedeutet. Der Begriff ‚Krisenmodus‘ wurde sogar zum ‚Wort des Jahres 2023‘ gewählt. Doch die Empfindung der eigenen Gegenwart als Krisenzeit ist kein neues Phänomen. Gleiches gilt für den Versuch, als krisenhaft und unerträglich empfundene Zustände durch Reformen zu überwinden. Und auch für ein drittes Phänomen lassen sich zahlreiche historische Beispiele finden: die Rechtfertigung politischer Maßnahmen als Mittel der Krisenbewältigung und der Erneuerung.
Aber welche Krisen mussten im Zeitalter der Karolinger und in nachkarolingischer Zeit bewältigt werden? Auf welche Bereiche erstreckten sich karolingische Reformen? Durch welche Akteure, Instrumente und Institutionen sollten die Reformziele erreicht werden? Inwiefern wurden Reformvorhaben unter Verweis auf tatsächliche oder vermeintliche Krisen als notwendige Erneuerung gerechtfertigt? Welche Rolle spielte Sprache bei der Propagierung von Reformen? Welche Auswirkungen hatten Reformen auf regionaler Ebene? Welche Reformen blieben hinter ihrem Anspruch zurück oder scheiterten sogar? Wie unterschieden sich Reformpläne in ottonischer Zeit von den karolingischen Reformen? Diese und andere Fragen werden wir im Proseminar untersuchen und dabei auch diskutieren, inwiefern sich ältere und jüngere Forschungskonzepte wie ‚Karolingische Renaissance‘ oder ‚Karolingische Reform‘ zur Interpretation politischer, religiöser und kultureller Dynamiken im Frühmittelalter eignen.
Neben der Seminarthematik wird das vierstündige Proseminar eine Einführung in Grundbegriffe, Methoden und Arbeitstechniken der mittelalterlichen Geschichte geben, einen Überblick über wichtige mediävistische Hilfsmittel und Werkzeuge bieten und die Fähigkeit zur selbstständigen Recherche von Fachliteratur fördern. Vorausgesetzt wird die regelmäßige, aktive Teilnahme am Seminar (einschließlich möglicher Exkursionen) und die Bereitschaft, sich intensiv mit Forschungsliteratur und Quellentexten (nach Möglichkeit auch in Originalsprache) auseinanderzusetzen. Die verpflichtenden Studienleistungen für das Proseminar umfassen kleinere schriftliche Stundenvorbereitungen, eine mündliche Präsentation (inklusive Handout) und eine Klausur. Der Leistungsnachweis erfolgt durch die Anfertigung einer schriftlichen Hausarbeit.
- Lehrende/r: Ernst Christoph Burdich