In neueren kulturwissenschaftlichen Ansätzen wird Übersetzen nicht allein auf die konkrete Textübertragung bezogen, sondern ist zu einer programmatischen Kategorie geworden, so dass unter die kulturwissenschaftlichen turns auch ein translational turn gezählt wurde. Unter Übersetzen in einem breiten Sinn wird dann die Praxis kulturellen Transfers und kultureller Transformation verstanden. Es geht also nicht mehr allein um das Transferieren einzelner Texte von einer Sprache in eine andere, sondern um die Transformation, die mit jeder Übersetzung einhergeht. Fokussiert werden die Prozesshaftigkeit und Dynamik kulturellen Übersetzens, die unterschiedlichen Kontexte, in denen translandum bzw. translat an Ausgang und Ziel des Übersetzungsprozesses stehen. Diese dem Übersetzen eigene Elastizität hat es konzeptionell interessant gemacht für eine Kulturwissenschaft, die nicht (mehr) von Kulturen als starren Entitäten ausgeht, sondern insbesondere jene Prozesse in den Blick nimmt, die mit Kulturkontakten verbunden sind. Exemplarisch soll dies an jenen kulturellen Räumen Mitteleuropas erörtert werden, die von Phänomene der Verflechtung, des In-, Mit-, Neben- und Gegeneinanders einer Vielfalt von Sprachen, Literaturen, Kulturen, Religionen und ihrer Traditionen geprägt waren. Dem Übersetzen nicht nur als einem Akt der Vermittlung oder Adaption, sondern auch der Transformation, möglicherweise der Usurpation, schließlich der Verfremdung oder gar Ablehnung kommt in einer derartigen Konstellation eine entscheidende Rolle zu. Denn jede kulturelle Positionierung innerhalb dieses polyvalenten Geflechts erfolgt geradezu zwangsläufig in Aneignung oder Abgrenzung von anderen Optionen.
- Lehrende/r: Irina Wutsdorff