Aufmerksamkeit, deren Lenkung, Inanspruchnahme, Investition und Ökonomisierung, ist in den vergangenen Jahren immer wieder vor dem Hintergrund des digitalen Kapitalismus und den durch ihn technologisierten Umwelten diskutiert worden. Ob von Armen Avanessian, der den Ursprüngen des aktuell erforderten ‘Flüchtigkeitsmanagements’ bis ins 19. Jahrhundert nachgeht, in Anna Kornbluhs Überlegungen zur ‘Unmittelbarkeit’ als Paradigma gegenwärtiger Produktions- und Rezeptionsbedingungen oder bei Jenny Odell, die Wege zum Widerstand gegen die ‘Aufmerksamkeitsökonomie’ aufzeigt, sie alle beziehen sich mal sehr explizit, mal nur implizit auf den Aufmerksamkeitsdiskurs.
Auch in der Kunstgeschichte nimmt die Frage nach der Rolle der Aufmerksamkeit mit der Bildung der digitalen Gesellschaft neue Wendungen. Seit Beginn der 1990er-Jahre geht Jonathan Crary den Wechselwirkungen von Technik, Gesellschaft und Kunst nach, die er immer wieder entlang der sich zwischen ihnen konstituierenden Aufmerksamkeitsregime untersucht. Die Beobachtung von Aufmerksamkeitsstrukturen wird ihm zum nützlichen Werkzeug der Analyse visueller Artefakte. Pamela Lee hingegen plädiert
für eine Kunst, die sich dem Modus der Disruption, dem vielleicht grundlegenden Aufmerksamkeitsregime seit dem Web 2.0, entzieht. Aufgabe der Kunst und Kunstwissenschaft sei es, diesem einen Modus des ‘Close-Readings’ und ‘Slow-Lookings’ entgegenzusetzen. Jüngst hat Claire Bishop vorgeschlagen, die Dialektik von Aufmerksamkeit und Ablenkung zugunsten einer neuen, ‘kollektiven Form der Betrachtung’ aufzulösen. Im Seminar werden wir uns ausführlich mit den genannten Positionen, den Genealogien der Aufmerksamkeitsregime und deren Herrschaft in der Kunst auseinandersetzen. Nicht zuletzt gilt es, deren Effekten auf die Wissenschaft und Wissensvermittlung nachzugehen und offen zu legen. Welche Aufmerksamkeitsregime beherrschen den Seminarraum und das Klassenzimmer und in welchem Verhältnis stehen sie zu jenen der Kunst und anderen Bereichen?
Literatur:
Claire Bishop, ‘Disordered Attention. How We Look at Art and Performance Today’, London 2024. // Jonathan Crary, ‘Suspensions of Perception. Attention, Spectacle, and Modern Culture, Cambridge 2000. // Anna Kornbluh, ‘Immediacy, or The Style of Too Late Capitalism’, London 2024. // Pamela M. Lee, ‘The Glen Park Library. A Fairy Tale of Disruption’, Cambridge 2019. // Jenny Odell, ‘How to do nothing. Resis- ting the Attention Economy’, Brooklyn/London 2019. //
- Lehrende/r: Simon Vagts