„Die Wahrheit hat noch keinem geschadet – außer dem, der sie ausspricht” (Helvetius). Wir leben im Zeitalter des Trumpismus und Postfaktischen. Feste Kategorien darüber, was richtig und was falsch, Wahrheit und Lüge sei, scheint es nicht mehr zu geben. Nahezu alle Gegenstandsbereiche, auch die der Moral, drohen, so die herrschende Annahme, dem Pluralismus von Meinungen zu unterliegen. Wer entsprechende Macht und Ressourcen besitzt, setzt seine politische Vorstellung schlicht durch. Braucht es vor diesem Hintergrund überhaupt noch Ideologien, wenn man diese als Rechtfertigung eines problematischen gesellschaftlichen Zustandes versteht (Adorno)? Und gehört der Ideologiebegriff vielleicht selbst bloß einer vergangenen Zeit an, ohne eine soziologische wie philosophische Plausibilität zu besitzen?

Wir wollen hier der Frage nachgehen, ob und wie sich in gesellschaftlichen Machtverhältnissen Ideologien (weiterhin) reproduzieren. Dem liegt die Annahme einer Existenz gesellschaftlich vorgezeichneter Verblendungszusammenhänge zugrunde. Diese führen dazu, dass das Subjekt sich von den Gründen und Ursachen, wie überhaupt Vergesellschaftung und damit die eigene Wahrnehmungsbefindlichkeit zustande kommt, ausschließt. Notwendig falsch wird das Bewusstsein dort, wo sich dieser Ausschluss als Gesetzmäßigkeit erkennen lässt, also objektiv durch gesellschaftliche Verursachung herbeigezwungen ist. Der Sinn der Erforschung des Ideologieproblems liegt nach Leo Kofler demnach darin, zu erfahren, unter welchen sozialen wie (sozial-)psychologischen Bedingungen falsches Bewusstsein und unter welchen Wahrheit, also richtiges Bewusstsein, möglich und artikuliert werden/wurden.

Für Lenk gewinnt der Ideologiebegriff in der Zeit der bürgerlichen Aufklärung des 18. Jahrhunderts erstmals Bedeutung, und zwar als systematische Selbstreflexion über ökonomische, soziale und ideengeschichtliche Zusammenhänge. Geblickt haben die Aufklärer vor allem auf die Produktion von Vorurteilen, die erkenntnishemmend auf die Vernunft einwirkten. Vor diesem Hintergrund wollen wir unsere gemeinsame Diskussion an diesem theoriegeschichtlichen Ort der Vernunftaufklärung beginnen, die Produktion von Wissen und Vorurteilen (Francis Bacon, Diderot) untersuchen. Ebenso spielen Konzeptionen von Verdinglichung (Marx, Lukács) eine Rolle wie auch klassische Ideologiekritik (Schopenhauer/Nietzsche/Adorno) oder historisch wie soziologisch weiter ausgreifende Thesen wie die von der Verführung des bürgerlichen Geistes (Helmuth Plessner).

Thematische Exkurse zur Politischen Psychologie (Klaus Horn) und Analytischen Sozialpsychologie (u. a. zum Zusammenhang von Schizophrenie und Ideologie, Joseph Gabel) sollen die hier vorgetragenen Themenschwerpunkte ergänzen.

Für die gemeinsame Grundlage unserer Seminardiskussion werden zu Veranstaltungsbeginn im Learnweb entsprechende Textauszüge zur Verfügung gestellt. Fragen zum Scheinerwerb werden in der ersten Sitzung geklärt.

Kurs im HIS-LSF

Semester: ST 2025