Die Geschichte der Dialektik reicht bis in die Antike zurück und erfährt spätestens im „Deutschen Idealismus” des 19. Jahrhunderts eine Renaissance (Schelling, Hegel), die von der Gesellschaftstheorie in vielfältigen Formen rezipiert und in die eigene Theorieproduktion integriert wurde. Die klassische Soziologie partizipierte an dieser Rezeption allenfalls mittelbar, ihr positivistischer Ordnungsanspruch sowie ihre methodologischen Grundlagen, die die Differenz von Begriff und Realität nicht akzeptierten, schlossen eine dialektische Betrachtungsweise auf Gesellschaft eher aus. „Materialistisch” geprägte Gesellschaftstheorien hingegen spürten der Spannung nach, inwieweit sich eigentlich das, was die bürgerliche Gesellschaft mit ihrem eigenen Begriff versprach und verbürgte (Freiheit, Gleichheit, ein glückliches Leben) einlösen und zugleich nicht einlösen ließ. Das pflegten sie soziologisch zu verbinden mit dem Widerspruch von Individuum und Gesellschaft, dessen theoretische wie praktische Auflösung zum Ziel ausgegeben wurde. Dabei galt die bürgerliche Gesellschaft als genetische Voraussetzung der Dialektik, die, so die Hoffnung, mit dem Verschwinden der gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Existenz obsolet gemacht wird.

Wir wollen die Dialektik weniger formallogisch durchexerzieren, sondern als genuin gesellschaftliche verstehen und schauen, inwieweit sie sich an sozialen Erscheinungsformen auffinden und erfahrbar machen lässt. Exemplifiziert werden soll dies am Begriffspaar Herrschaft und Kritik, wo wir einzelne ‚Kritiken‘ aus der Soziologie und Philosophie an Gesellschaft und ihre herrschaftliche Ordnung hinsichtlich ihres dialektischen Gehalts gegenlesen. Einmünden soll unsere Diskussion in den Begriff der Utopie. Da Dialektik seit Hegel (und in der Folge bis Adorno) auf das sog. Nichtidentische zielt, führt sie, so ihr Versprechen, ein subversives Element mit, das sich für theoriegesättigte Gesellschaftskritik nutzbar machen lässt und gesellschaftliche Grundlagen als Ganze zu irritieren trachtet. Mit Ernst Bloch und Herbert Marcuse wollen wir dieser These nachgehen und auf aktuelle Problemlagen (z. B. Natur/Ökologie) projizieren. Auch klassische bürgerliche Utopien wie „Der Sonnenstaat” von Campanella sollen besprochen werden.

Kurs im HIS-LSF

Semester: ST 2025