Am Ende des Kalten Krieges wurde mit großer Hoffnung das Zeitalter liberaler Demokratien eingeläutet. Tatsächlich ließ sich weltweit eine Zunahme parlamentarischer Demokratien beobachten. Der Triumphzug der Demokratie (ver-)führte gar dazu, auch mal mit kriegerischer Gewalt für demokratische Veränderungen zu sorgen. Diese Versuche vor allem vonseiten der Weltmacht USA haben allerdings eher das Gegenteil bewirkt, am Ende haben die autoritären Regime bspw. im Nahen Osten nicht etwa Demokratien Platz gemacht, sondern archaisch-fundamentalistischen Bewegungen wie dem islamistischen IS und vielen anderen, die an Autoritarismus die gestürzten Diktatoren mehrfach übertroffen haben. Entgegen der geopolitischen Ernüchterung wurden Demokratien in Europa und Amerika innergesellschaftlich vertieft. Seit einiger Zeit wird die liberale Demokratie mehr und mehr im Zuge der Diversitätsdiskurse gedeutet, die den vormaligen Bürger und die Klasse als zentrale politische Kategorien in ethnische, religiöse, geschlechtliche und kulturelle Identitäten hin explizieren oder zumindest um diese Dimensionen ergänzen. Zugleich wird eine eher an Bürgerrechten orientierte Politik zunehmend durch Menschenrechtsorientierung überlagert. Gerade an dem Thema Flucht und Migration entstehen aber Spannungen zwischen diesen zwei Zugängen zur demokratischen Frage. Nach 30 Jahren bekommt allerdings die liberaldemokratische Euphorie über die voranschreitende Demokratisierung mit großen Herausforderungen zu tun, die derzeit vor allem von rechts kommen. Neue autoritäre Bewegungen sind weltweit im Vormarsch. Auch in Europa und Amerika gewinnen sie mehr und mehr an Macht und bringen inzwischen vor allem durch Rhetoriken „Elite vs. Volk“ oder „Migranten vs. Volk“ politische Mehrheiten hinter sich. Anders als in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen stellen diese Bewegungen (zumindest vorerst) nicht die Demokratie als System in Frage, sondern die liberale Spielart davon, die sich auf parlamentarische Verfahren und institutionelle Arrangements verlässt und die Freiheit des Individuums im Blick hat. Dort wo sie erfolgreich sind, kommen die neuen autoritären Bewegungen über demokratische Mechanismen an die Macht, schwächen zügig formale Verfahrensrationalität, betreiben das staatliche Handeln immer stärker charismatisch. Alte Spaltungslinien werden vertieft, neue werden aufgemacht. In der Forschung und politischen Debatte versucht man mit Begriffen wie „illiberale Demokratie“, „Populismus“, „libertärer Autoritarismus“, autoritärer Nationalismus“, „Neo-Patrimonialismus“ oder „Neo-Sultanismus“ dieser Entwicklung auf den Grund zu gehen. Das Lehrforschungsprojekt befasst sich mit Fragen, die sich auf die Entstehung, Ziele, Erfolgsgründe und schließlich gesamtgesellschaftliche Folgen dieser Bewegungen beziehen. Kritische Rezeption bestehender Forschung soll eine theoretisch fundierte empirische Forschung vorbereiten. Die inhaltliche Ausgestaltung des Seminars wird gemeinsam mit den Studierenden des Kurses abgestimmt.
- Lehrende/r: Levent Tezcan