In Zeiten zunehmender (tatsächlicher oder medial postulierter) Spaltung der Gesellschaft gewinnt die Soziologie als Beobachtungsinstanz an Relevanz. Schließlich gehört die Frage nach den Möglichkeitsbedingungen sozialer Integration vor dem Hintergrund von Differenzierungsprozessen seit den Anfängen des Faches zum soziologischen Kerngeschäft. Auch Émile Durkheim, eine der Gründungsfiguren der Soziologie, hat diese Frage wesentlich umgetrieben. In seinem ersten Hauptwerk „Über soziale Arbeitsteilung“ (1893) entwickelt er die berühmte These, dass der Übergang von der vormodernen segmentären zur modernen arbeitsteilig-organisierten Gesellschaft durch einen Wandel des dominanten normativen Integrationsmodus gekennzeichnet ist. Während der Zusammenhalt in segmentären Gesellschaften noch durch eine „mechanische Solidarität“ unter Gleichen gesichert worden sei, verliere diese im Zuge zunehmender beruflicher Spezialisierung und Individualisierung an Bindekraft. Die Gesellschaft breche deswegen aber nicht zwingend zusammen, an die Stelle der „mechanischen Solidarität“ trete vielmehr eine „organische Solidarität“, die auf der wechselseitigen Abhängigkeit der einzelnen Gesellschaftsmitglieder beruhe. In diesem Lektürekurs wollen wir die zentralen Thesen des Werkes gemeinsam erarbeiten, kritisch diskutieren und auf ihre Relevanz für heutige soziologische Analysen hin überprüfen. Dabei wollen wir – so viel sei vorweggenommen – der Anregung Niklas Luhmanns im Vorwort zur deutschen Übersetzung folgen und den Fokus stärker auf die „Problemstellungen“ denn auf die „Problemlösungen“ legen. Die Lektüre soll durch Seitenblicke in Durkheims drei andere Hauptwerke („Die Regeln der soziologischen Methode“, 1895; „Der Selbstmord“, 1897; „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“, 1912) ergänzt werden. Voraussetzung für die Teilnahme ist die Bereitschaft zum Lesen der Texte. Der Kurs findet im zweiwöchigen Rhythmus statt. Die Anschaffung der Lektüre (Émile Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung: Studie über die Organisation höherer Gesellschaften, 1992, Suhrkamp) wird empfohlen.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2024