Gewalt ist immer da, wenn etwas über andere gegen ihren Willen bestimmt und Zwang ausübt – Gewalt verletzt oder droht zu verletzen, sie verlangt Opfer und Selbstopfer. Als solche ist Gewalt eine der Grundwirklichkeiten dieser Welt und Zeichen unversöhnter Verhältnisse. Menschen sind der Gewalt der Natur ausgesetzt, auf deren Grundlage sie wiederum leben, die aber nicht ohne weiteres auf menschliche Ziele ausgerichtet ist. Gesellschaft gestaltet sich als Verarbeitung und Zurückdrängung dieser Gewalt der Natur, speist aber allerlei Gewalt in sich auf und baut sich oft genug über Gewaltverhältnisse auf. Jede Form von Herrschaft lebt von expliziter oder impliziter Gewaltandrohung und verdichtet sich zu Strukturen, die Gewalt re_produzieren: wirtschaftliche, politische, patriarchale, rassistische, antisemitische Gewalt. Auch moderne politische Formen des Rechts, des Staates, der Demokratie stehen in einem dialektischen Verhältnis zur Gewalt - selbst Versuche, sie progressiv zu verändern, kommen nicht ohne Verstrickung mit Gewalt aus. Das heißt: Alles, was für den Menschen von Bedeutung sein will, muss sich zu Gewalt verhalten.

Das gilt auch und gerade für die Religionen. Das Verhältnis der Religionen und insbesondere der Gottesfrage zur Gewalt ist ambivalent. Sie können eine letzte Rechtfertigung für die gegebenen Gewaltverhältnisse liefern oder umgekehrt als radikale Quelle des Widerstands gegen deren Akzeptanz wirken. Dies gilt auch für monotheistische Religionen, die einerseits dem Vorwurf ausgesetzt sind, inhärent gewalttätig zu sein, andererseits aber in ihrem Kern eine radikale Befreiung von Gewalt und Herrschaft verkündigen und sich daran messen lassen wollen. Aber auch eine Religion, die Gewalt abschaffen will, muss sich zur real existierenden Gewalt von Gesellschaft, von Geschichte aber auch ihrer eigenen Institutionen verhalten, wenn sie Menschen mit ihren Gewalterfahrungen nicht allein lassen und Gewalt in sich selbst unkontrolliert reproduzieren will.

Die Tagung möchte in vier Kapiteln eine philosophische und systematisch-theologische Reflexion der Gewaltfrage versuchen: (1) Phänomenologie, Begriff und Kritik der Gewalt - (2) Religionsförmige Gewalt, gewaltförmige Religion? - (3) Abschaffung der Herrschaft als Kern der Glaubensverheißung - (4) Ethik der Macht und die bleibende Gewaltfrage.

Kurs im HIS-LSF

Semester: ST 2024