In den Prosaromanen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit bildet sich ein literaturgeschichtlicher Umbruch mit Folgen bis ins 19. Jahrhundert ab. Einerseits werden bewährte Erzählstoffe wiederholt, fortgeführt und variiert; andererseits setzt sich, begünstigt durch die Möglichkeiten des Buchdrucks und die Entstehung eines anonymen Buchmarkts, ein Interesse am Neuen durch. Neben alte Wertmaßstäbe (Genealogie, sozialer Stand) treten neue (ökonomisches Denken, Neugier [curiositas] um ihrer selbst willen); neben dem traditionellen Anspruch, belehrend zu wirken, behauptet sich ‚Kurzweil‘ als Funktion der Texte und erhält einen neuen Stellenwert.

Im Seminar wollen wir in textnahen Diskussionen drei Romane des 15. und 16. Jahrhunderts in den Blick nehmen, die zu echten Erfolgstiteln werden sollten und noch in der Goethe-Zeit allgemein beliebt waren. Die ‚Melusine‘ Thürings von Ringoltingen erzählt von der mythischen Ahnfrau eines mächtigen französischen Adelsgeschlechts; der anonym publizierte ‚Fortunatus‘ vom Aufstieg des Protagonisten mithilfe magischer Utensilien und vom Fall seiner beiden Söhne. In der ‚Schönen Magelone‘ verbindet sich die abenteuerliche Liebesgeschichte zwischen einem Grafen und einer Königstochter mit protestantisch gefärbten Moralisierungen. Alle drei Texte erzählen Aufsteigergeschichten, die wir in verschiedenen Perspektiven analysieren und kontextualisieren wollen. Befragt werden sollen u.a. die Darstellung von erzählten Räumen; Funktionen und der Stellenwert von Reisen; konkurrierende Interaktionsmuster (z.B. höfisches, heroisches, ökonomisches Verhalten); das Verhältnis von belehrenden Maximen und erzählter Handlung; Spannungen zwischen Zufall und Vorsehung; rationale Welten und der Abbau des Mythischen.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2024