Wer in moralischen Fragen nicht entweder dogmatisch entscheiden oder sich – radikal skeptisch – jedes Urteils ent­­­halten will, dem bleibt nur übrig, für seine moralischen Überzeugungen zu argumentieren. Dabei kann so einiges schiefgehen.

In gewissem Sinn liegt das in der Natur der Sache. Denn eine grundlegende Voraussetzung für fair abwägendes Ar­gumentieren ist dessen Ergebnisoffenheit. Wer ergebnisoffen argumentieren will, muss zumindest die fol­gen­de methodische Regel beachten: Die Qualität eines Arguments muss unabhängig davon beurteilt werden, für wel­che Position es spricht. Die Befolgung dieser Regel ist nun in moralischen Fragen besonders schwierig, weil wir konkurrierenden moralischen Positionen, die per definitionem wertbeladen sind, nicht wertneutral gegen­über­stehen. Offensichtlich hängt es vom eigenen moralischen Standpunkt ab, wie wir eine Argumentation be­wer­ten – und wie wir die Person einschätzen, die diese Argumentation vorträgt. Die sich daraus ergebenden er­­kennt­nistheoretischen und politischen Konsequenzen sind insbesondere in der standpoint theory reflektiert wor­­den, die Sandra Harding u. a. feministische Epistemolog:innen entwickelt haben.

Aber folgt aus dieser „Standpunkt-Logik“, dass ein ergebnisoffenes Argumentieren um moralische Streitpunkte prinzipiell unmöglich ist? Dies wäre ein tiefgreifendes Problem. Denn wie eingangs fesgestellt, blieben in die­sem Falle nur die beiden – gleichermaßen unattraktiven – Optionen, moralische Fragen entweder dog­ma­tisch zu ent­scheiden oder sich jedes Urteils zu enthalten. Allerdings wäre eine bejahende Antwort auf die Frage auch vor­­eilig. Denn die moderne Argumentationstheorie hat ein reiches Inventar entwickelt, Argu­men­ta­tions­feh­ler zu iden­tifizieren und die Schwächen normativer Argumente aufzudecken. Dieses Inventar bietet ein fruchtbares Mit­tel für faire Kritik an defizitären und parteilichen Argumentationen; man muss es nur angemessen an­wen­den. Diese Kompetenz soll in diesem Seminar gefördert werden.

Nach einer detaillierteren Einführung in die oben skizzierte erkenntnistheoretische Problematik, werden wir im Seminar klassische Argumentationsfehler kennenlernen, diese daraufhin in ausge­wähl­ten Argumenten aus dem Bereich der angewandten Ethik identifizieren und schließ­lich diskutieren, mit Hilfe wel­cher Argu­men­ta­tions­stra­tegien sich solche Fehler vermeiden lassen.

Kurs im HIS-LSF

Semester: ST 2024