Die Schweiz besaß nie Kolonien. Als Kleinstaat inmitten Europas verfolgte weder die Alte Eidgenossenschaft noch der moderne Schweizerische Bundesstaat nach 1848 je eine offizielle Kolonialpolitik. Nichtsdestotrotz hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten ein Forschungsfeld gebildet, das sich mit einer „kolonialen“ oder gar „post-kolonialen“ Schweiz beschäftigt. Diese Studien brechen mit der langjährigen Fremd- und Selbstwahrnehmung der Schweiz, die geprägt war von Motiven wie Neutralität, Abgrenzung und der Idee einer historischen Sonderrolle des Landes. Als Folge eines „global turn“ in der Geschichtswissenschaft sowie als Ergebnis gesellschaftlichen Wandels wird die Geschichte der Schweiz vermehrt in einen transnationalen Kontext eingebettet, was vielfältige, lange wenig beachtete oder gar ignorierte Verbindungen und Verflechtungen offenlegt.

Anhand des Beispiels der Schweiz wird in diesem Kurs folglich der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen eines Konzepts von „Kolonialismus ohne Kolonien“ nachgegangen. Er untersucht dabei die europäische Expansion im 18. bis 20. Jahrhundert als gesamteuropäisches und transnationales Projekt und bietet zugleich einen Einblick in eine globale Geschichte der modernen Schweiz.

Der Kurs beschäftigt sich mit vielfältigen Formen schweizerischer Beteiligung am europäischen Kolonialismus, z.B. der Rolle Schweizer Söldner in europäischen Kolonialarmeen oder der Bedeutung und Partizipation schweizerischer Unternehmen und Akteure im globalen Rohstoff- oder Sklavenhandel. Beleuchtet wird des Weiteren die Beteiligung von Schweizerinnen und Schweizer an der kolonialen Wissensproduktion – z.B. durch geographische Entdeckungsreisen, vermeintlich wissenschaftliche Rassismustheorien, oder in der Vermittlung ethnografischer und populärer Vorstellungen von nicht-europäischen Kulturen durch Missionsgesellschaften. Zuletzt widmet sich der Kurs auch dem postkolonialen Erbe der Schweiz: Wie zeigen sich bspw. koloniale Denkmuster in Schweizer Kinderbüchern und Comics, inwieweit kann die Schweizer Entwicklungspolitik als Fortführung kolonialer Interessen, Abhängigkeiten und Interdependenzen gelesen werden?

Die Veranstaltung ist auf 25 Teilnehmende beschränkt. Ein Teil der Lektüre ist in Englisch.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2024