„Was ist der Mensch?“ – Das ist der Fragehorizont der Anthropologie. Sie kennt differenzierte Ausformungen, unter denen die philosophische Anthropologie eine herausgehobene Stellung einnimmt. Denn sie frage nicht nur nach dem Menschen als Objekt (biologisch, forensisch; sozial, kulturell, historisch; kybernetisch et al.), sondern bezieht darüber hinaus dessen Subjektstellung in ihre Reflexionen mit ein. Um es mit Max Scheler zu sagen: „Wir sind in der ungefähr 10.000jährigen Geschichte das erste Zeitalter, in dem sich der Mensch völlig und restlos problematisch geworden ist: in dem er nicht mehr weiß, was er ist; zugleich aber auch weiß, dass er es nicht weiß“ (Die Sonderstellung des Menschen im Kosmos).
Akut werden solch fundamentalen Fragen stets dann, wenn das Selbstverständliche irritiert wird und sich die Referenzgrößen der bis dahin (u.U. unartikuliert) gegebenen Antwort verschieben. Bis der mythologische Horizont des antiken Menschen zerbricht, haben sie sich im Verhältnis zum Kosmos definiert, Die zunehmend christianisierte Bevölkerung Europas hat den Menschen im Licht der Offenbarung begriffen. Mit der eintretenden Säkularisierung bröckelt auch dieser Interpretationsrahmen und der Mensch wird sich erneut und zugleich mehr und mehr fraglich; die Zeiten des Übergangs folgen im Zuge einer beschleunigten säkularen Lebensform immer schneller aufeinander.
So ist die Anthropologie in einem expliziten Sinn erst eine Disziplin des 16. Jahrhunderts und die philosophische Anthropologie sogar erst des 20. Jahrhunderts. Aus dieser zeitlichen Spanne wollen wir uns Antwortversuchen widmen, die den Menschen jeweils in einem speziellen Bezugsverhältnis zu begreifen versuchen. Das sind die Kategorien Natur, Gesellschaft, Kultur und Technik. Und wir begegnen den Überlegungen u.a. von Charles Darwin und Helmuth Plessner, Georg W.F. Hegel und Karl Marx sowie Søren Kierkegaard, Wilhelm Dilthey und Ernst Cassirer oder Jacques Ellul, Donna Harraway und Rosi Braidotti.
Ziel der Veranstaltung ist es, Ihre interdisziplinären Kompetenzen in anthropologischen Fragestellungen über weiterhin aktuelle Bezugsgrößen auszubauen und darüber – im persönlichen Transfer – die theologische Sprachfähigkeit weiter zu entwickeln. Der Kursverlaufsplan und die vorlesungsbegleitende Literaturliste werden in der ersten Sitzung bekannt gegeben.
- Lehrende/r: Rainer Gottschalg