Der Pressespiegel zu Babylon Berlin (D 2017–) liest sich wie ein Loblied. Von einer „Serie der Superlative” (Deutschlandfunk Kultur) ist da die Rede, einer „Reise in die Abgründe der deutschen Seele”, einem „beeindruckende[n] Panorama” in „opulenten Bildern”, wobei zugleich durchaus auch die „Schattenseiten” der Zeit um 1920/30 Eingang finden (Stern.de).

 

Ganz offensichtlich trifft die Produktion einen Nerv der Zeit, und dies nicht nur medial, im Kielwasser der vielen aufwendigen und komplex erzählten Serien im internationalen Filmgeschäft (wie z. B. Downton Abbey, Peaky Blinders, Boardwalk Empire), sondern auch im Hinblick auf die Beschäftigung mit der ‚deutschen Kultur‘ vor einem Jahrhundert: Die „Faszination am Berlin der 20er”, so heißt es beim Deutschlandfunk zum „Mythos ‚Babylon Berlin‘, sage etwas „über unsere heutige Zeit aus”.

 

Doch warum überhaupt die 1920er in der Rückschau? Offensichtlich dient die Serie vor allem der Aushandlung des aktuellen kulturellen Selbstverständnisses, einer in vielerlei Hinsicht modellbildenden Rückschau auf eine Zeit, die mit dem eigenen Entstehungskontext in Beziehung steht. Entsprechend wäre Babylon Berlin als medialer Verhandlungsort, als kultureller Speicher primär für unsere heutige Gegenwart und ihr retrospektives Geschichtsbild aufzufassen: Die Wahl des Sujets und die raumzeitliche Situierung deuten auf die Einbindung in zeittypische und gegenwartsdiagnostische Diskurse hin, wodurch die Serie sich ins Verhältnis zu anderen Medientexten setzt, die ebenfalls die 1920er-Jahre thematisieren (wie z.B. die Serien Eldorado KaDeWe und Das Haus der Träume).

 

Es ließen sich daraus Rückschlüsse ziehen nicht nur auf das aktuelle Bild der Weimarer Republik, sondern gleichfalls auf das Selbstverständnis der Kultur der 10er- und 20er-Jahre des 21. Jahrhunderts, und fragen, inwiefern dieser hinsichtlich seiner politischen Implikationen brisante, auch mediengeschichtlich bemerkenswerte „Schnittpunkt” von 1929 Ausgangspunkt einer Diskussion des gegenwärtigen Gesellschaftsbildes wird, überhaupt werden kann (Andriopoulos/Dotzler).

 

Nähert man sich diesem Komplex auf medienkulturwissenschaftlichem Wege an, bieten sich zwei grundsätzliche Zugriffe an: zunächst auf die mediale Darstellung der Serie und ihre Verfahren, d.h. ihre Machart, fiktionsinterne Logiken und Erzählweisen sowie Anlage und Konzeption der Retrospektive auf die ‚Goldenen Zwanziger‘, jenen ‚Tanz auf dem Vulkan‘, dessen angloamerikanisches Pendant die ‚Roaring Twenties‘ sind. Und dies umso mehr, als Babylon Berlin offensichtlich Strategien der medialen Selbstrepräsentation der 1920er-Jahre einerseits aufgreift und neu inszeniert, andererseits als Kommunikat der späten 2010er- und frühen 2020er-Jahre distribuiert wird, wobei ihr Diskurse des spätmodernen 21. Jahrhunderts eingeschrieben sind. Dies der Zugriff auf die Serie als ‚re-modellierender‘ Brückenschlag.

 

Das Seminar soll diesen Fragen und Aspekten nachgehen. Dazu werden (1) Grundlagen und Arbeitskontexte der Serienforschung erarbeitet, um (2) Ästhetik, Erzählweisen und Logiken der Serie in den Blick zu nehmen. Neben Gestaltungsaspekten der Produktion selbst sollen (3) insbesondere die medienoperative Retrospektive der 2020er auf die 1920er sowie die Vergleichsebene zu ähnlichen retrospektiv(-historisch) angelegten Serienproduktionen in den Blick rücken.

 

Hinweis: Die Veranstaltung findet außerplanmäßig in Kombination mit dem Forschungskolloquium „Wege der Literatur- und Mediensemiotik” statt. Sie bietet demnach also ebenso Raum für die Präsentation von Masterarbeitsprojekten. Eingeladen sind alle Interessent:innen und bisherigen Teilnehmer:innen.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2024