Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus wurde in den 1990ern Jahren nicht nur das Ende der Geschichte, sondern auch das Ende des utopischen Zeitalters proklamiert. Der demokratische Kapitalismus schien mangels anderer Gesellschaftsalternativen einen weltweiten Siegeszug anzutreten. Wie wir inzwischen wissen war diese Erwartung ein Irrtum. Bereits mit dem Ende des Kalten Krieges mobilisierte beispielsweise das Konzept der nachhaltigen Entwicklung im Lichte ökologischer und sozialer Krisenerscheinungen wieder positive Zukunftsentwürfe vom guten Leben. Bei genauerer Betrachtung produziert die Gegenwartsgesellschaft eine ganze Reihe an utopischen und dystopischen Zukunftsentwürfen. Postwachstumsutopien, der Transhumanismus, religiöse Visionen vom Gottesstaat, neurechte Utopien homogener Nationalgesellschaften, kosmopolitische Entwürfe eines europäischen Bundesstaaten oder die Revitalisierung sozialistischer und feministischer Utopien verweisen darauf, dass die Zeitdiagnose vom Ende der Utopie sich mit der sozialen Wirklichkeit der Weltgesellschaft nur schwer in Einklang bringen lässt. Auf Grundlage einer kurzen Einführung in die Geschichte der Utopie und soziologischen Utopieforschung nehmen wir kontemporäre Zukunftsentwürfe in den Blick und fragen nach der Entstehung, den Inhalten, Formen und Funktionen des utopischen Denkens in der Gegenwartsgesellschaft.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2023/24