Zum Jahreswechsel 2023 schlug sie ein wie eine Bombe – die Nachricht von der Microsoft-Übernahme des KI-Start-Ups OpenAI und ihres Generative Pre-Trained Transformer (kurz ChatGPT) der ersten künstlichen Intelligenz (KI), die diesen Namen, auch nur im Entferntesten verdienen könnte. Das Dialogsystem erstellt auf der Basis eines komplexen statistischen Modells und riesengroßer Text-Datenbanken eigenständig Antworten auf Anfragen seiner User*innen, die zum ersten Mal in der Geschichte von KI und Sprach-Interfaces meist semantisch passend und sprachlich natürlich wirken. Problematisch daran ist, dass die der Technologie zu Grunde liegenden Datenbanken nicht immer aktuell, sachlich korrekt oder der Anfrage angemessen sind, obwohl sie alle sprachlichen Marker aufweisen, die den Anschein von einem kohäsiven Text erwecken sollen. So wurde die innovative Technologie seitens der Presse extrem kontrovers diskutiert. Während die Süddeutsche Zeitung (SZ) ChatGPTs Potenzial zur Arbeitserleichterung in den Vordergrund rückte und titelte „Mach Du mal, Computer“ (SZ 13.02.203), fokussierte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) eher auf die Defizite der Technologie und zitierte die Computerlinguistin Emily M. Bender mit den Worten „Es ist absurd, bei ChatGPT von Künstlicher Intelligenz zu sprechen“ (NZZ 25.02.2023).

Heise online berichtete regemäßig über unterschiedliche Studien zu ChatGPT, die zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen kamen „ChatGPT ist überzeugender als Menschen denken“ (06.04.2023), „Sorgen vor ChatGPT & Co.: Das Risiko der Manipulation und Desinformation ist groß“ (07.04 2023). Und auch der Fach-Diskurs um die Generative Transformatoren-Technologie läuft auf ein Dilemma hinaus, in dem die einen „Sparks of artificial intelligence in early experiments with chat gpt 4“ (Bubeck et al. 2023) konstatieren und die anderen mit großer Berechtigung fragen „ChatGPT: Bullshit spewer or the end of traditional assessments in higher education?“ (Rudolph, Tan & Tan 2023).

Was die momentane öffentliche Debatte ganz deutlich zeigt, ist, dass wir als Gesellschaft noch überhaupt nicht auf die Potenziale und Gefahren von KI vorbereitet sind. Trotzdem findet die Revolution der Künstlichen Intelligenz gerade statt und verändert Arbeitswelten und Märkte so tiefgreifend wie keine andere Revolution zuvor. Wir werden in Zukunft die Digitale Revolution nur noch als Ouvertüre zur KI-Revolution begreifen. Und um die Kontrolle darüber zu behalten, ob KIs in Zukunft gesichertes Wissen verbreiten oder „Bullshit“ im Sinne des Philosophen Harry G. Frankfurts (2005) speien – wie es übrigens auch die Schweizer Philosophin Barbara Bleisch gefasst hat (SRF Kultur 05.03.2023) – , bedarf es neuer literaler Kompetenzen, die uns helfen, das eine vom anderen zu unterscheiden. Dafür benötigen wir einerseits Grundkenntnisse der Informatik und hier insbesondere der KI-Forschung und andererseits eine neue, auch selbst-reflexive Sprachbewusstheit, die uns sensibel machen soll für die Interaktion mit Sprach-Interface-Technologien im Alltag.

Im Seminar wollen wir uns sowohl mit der technologie-historischen Entwicklung von KIs mit Sprach-Interface beschäftigen, als auch aktuelle Technologien kritisch hinterfragen und Mensch-Maschine-Interaktionen mit linguistischen Methoden analysieren.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WT 2023/24
ePortfolio: No