Die Studienpläne bewerten Hauptseminare durch die vergleichsweise geringe Zuordnung von Workload als nebensächlich. Eine vertiefte Beschäftigung mit einem Themenbereich ist für Studierende daher unmöglich. Es fehlt in Einzelfällen und im Allgemeinen die Zeit, die einzelnen Seminareinheiten vorzubereiten, um als kompetente Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner an Seminarsitzungen teilzunehmen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Seminare beteiligen sich daher nicht an Diskussionen es sei denn, sie können ihre Beiträge aus dem volkskirchlichen Allgemeinwissen und verstreuten Informationen aus anderen Fächern der Theologie entwickeln. Der Kompetenzerwerb ist minimal. Eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für das Entstehen einer Diskussion ist der Verzicht auf thematisch spezielle, im Rahmenthema des Seminars weiterführende Inhalte. Solche Diskussionen fördern die Illusion, man könnte sich ohne Einarbeitung in ein Thema kompetent an einer Debatte beteiligen.

Da keine Anwesenheitspflicht besteht, entsteht keine Lerngruppe, die gemeinsam erworbene Kompetenzen gemeinsam erweitert. Da sich voraussichtlich nicht mehr als fünf Studierende für das Seminar anmelden, ist eine diskursive Auseinandersetzung mit einem Thema innerhalb der Peergroup anlässlich der Seminareinheiten unwahrscheinlich.

Der typische Workflow eines Hauptseminars, bei dem Studierende die sogenannte Gestaltung einer Seminareinheit übernehmen, beginnt normalerweise mit einer Konfrontation mit dem Seminarthema zu Beginn des Semesters. Zu dieser Zeit ist eine solche Konfrontation mit der impliziten Forderung, sich rasch in ein Spezialthema einzuarbeiten, eine unzumutbare Überforderung. Die ersten Lehrveranstaltungseinheiten im Semester werden daher normalerweise mit Verhandlungen über ad hoc Reduktionen des Workload verbraucht. Eine angeleitete, portionierte, gemeinsame Einarbeitung während des Seminars ist unmöglich, s.o. Referentinnen und Referenten stellen daher oberflächliche Präsentationen zusammen oder verbrauchen die Seminarzeit mit planlos zusammengestellten Gruppenarbeiten. Da weder Kenntnisse noch Kompetenzen, die sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars vor der Sitzung erarbeiten müssten, vorausgesetzt werden können, sind Lernfortschritte durch Gruppenarbeiten minimal. Referentinnen und Referenten beginnen eine im Vergleich damit tiefere Auseinandersetzung mit ihren Themen typischerweise erst Monate oder mehrere Semester nach Ende des Seminars. Die Abfassung eines kurzen Essays verstehen und bezeichnen sie zu Recht als überflüssige Schikane, die nur dem Erwerb der Note, nicht aber dem Erwerb einer Kompetenz dient. In diesem nachträglichen Prozess etwa erworbene Kompetenzen oder Kenntnisse können schließlich nicht mehr in der Auseinandersetzung mit der Peergroup erprobt und gefestigt werden. Die Struktur der Module verhindert das positive Flow-Erlebnis eines gelungenen, praktischen Einsatzes der Kompetenzen der Studierenden.

Eine allgemeine Vorbereitung zur Schaffung einer gemeinsamen Grundlage an Kenntnissen und Kompetenzen vor dem Beginn des Seminars ist von den Modulbeschreibungen nicht vorgesehen und daher nicht durchzusetzen. Seminare können nicht verbindlich und nicht über zwei Semester geführt werden, sodass eine gemeinsame, angeleitete Einarbeitung und die konzentrierte Arbeit an einem eigenen Beitrag zum Beispiel in der vorlesungsfreien Zeit zwischen Winter- und Sommersemester ebenfalls ausgeschlossen sind.

Im Sinn von constructive alignment soll für das folgende Seminar als Ziel die Erarbeitung eines den Modulhandbüchern entsprechenden Textes stehen. (Alle anderen Formen der Leistungsüberprüfung sind ausgeschlossen.) Aufgrund der oben dargelegten Tatsachen sind keine Präsenzeinheiten vorgesehen. Der nach Zeiteinheiten gestaltete Workload wird zur individuellen, schrittweisen, angeleiteten und termingebundenen Erarbeitung des Abschlusstextes eingesetzt. Zu diesem Zweck erhalten Studierende individuelle Arbeitsaufgaben, die zu bestimmten Terminen im Semester abzuliefern sind. Über individuelle Videokonferenzen mit dem Lehrenden wird festgestellt, dass die Erarbeitung der Zwischenergebnisse persönlich erfolgt ist. Dort werden Probleme beim individuellen Zugang zu den Themen besprochen. Wenn ein Arbeitsschritt nicht zum angegebenen Termin abgeschlossen und das Ergebnis in learnweb hochgeladen ist, wird die Zusammenarbeit abgebrochen und das Seminar mit „nicht ausreichend” verbucht. Bei Bearbeitung der Aufgaben unter Einhaltung der Fristen ist mit Ende der Vorlesungszeit das Seminar abgeschlossen, sodass die Abschlussnote im Februar eingetragen wird. Vor Semesterbeginn wird ein exemplarischer Terminplan in learnweb hochgeladen, sodass sich prospektive Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu den Bedingungen und Möglichkeiten des Seminarbetriebs eine Meinung bilden können.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2023/24