Thomas Kuhn gehört bis heute zu den meist diskutierten Autoren der Wissenschaftsphilosophie. Sein Klassiker The Structure of Scientific Revolutions wird etwa von Richard Rorty als „the most widely read, and most influential, work of philosophy written in English since the Second World War” bezeichnet. Dieser Einfluss war weder in allen Fällen von Kuhn gewollt noch immer zustimmend. So hat Kuhn sich nach der Veröffentlichung seines Buches sowohl gegen aus seiner Sicht radikale Inanspruchnahmen aus den Sozialwissenschaften als auch gegen Kritik aus Richtung der Wissenschaftsphilosophie gewehrt. Bei letzterer war es besonders der notorische Zankapfel der Kuhnschen Inkommensurabilitätsthese und ihrer womöglich relativistischen und idealistischen Implikationen, der Kuhn immer wieder beschäftigt hat. Kurz: Ein bedeutendes Motiv der Kuhnschen Arbeiten nach der Veröffentlichung von Structure ist sein Eindruck, dass er sich umfassend missverstanden fühlte.

Dieses Motiv begleitete Kuhn auch beim Verfassen eines weiteren Buches, an dem er bis zu seinem Tod im Jahre 1996 arbeitete, und das den Titel The Plurality of Worlds: An Evolutionary Theory of Scientific Discovery tragen sollte. In diesem wollte Kuhn eine empirisch begründete Bedeutungstheorie vorlegen, die das Phänomen der Inkommensurabilität mit einem robusten Begriff der durch die Wissenschaften untersuchten Welt, der Rationalität wissenschaftlichen Wandels und einem gehaltvollen Begriff wissenschaftlichen Fortschritts vereint. Die Herausgabe des nicht-vollendeten Manuskripts hatte Kuhn kurz vor seinem Tod noch veranlasst. Allerdings mussten Wissenschaftsphilosophinnen und Wissenschaftsphilosophen noch bis ins Jahr 2022 warten bis das Buch gemeinsam mit zwei weiteren im Englischen unveröffentlichten Aufsätzen Kuhns von Bojana Mladenovic unter dem Titel The Last Writings of Thomas S. Kuhn. Incommensurability in Science herausgegeben wurde.

Wir werden im Seminar gemeinsam Kuhns letztes Werk lesen und diskutieren. Solide Englischkenntnisse und grundlegende Vertrautheit mit der Kuhnschen Wissenschaftsphilosophie sind erforderlich.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2023/24