1776 betraten die Menschenrechte die Bühne der Weltpolitik: Alle Menschen, so wurde es in der Virginia Declaration of Rights formuliert, verfügen über ihnen innewohnende Rechte, die kein Staat ihnen nehmen kann, das Recht auf ein Leben in Freiheit, auf Eigentum, auf das Verfolgen und Erreichen von Glück und Sicherheit,. Viele Menschenrechtserklärungen sind seither gefolgt, und Menschenrechte bilden die Grundlage zahlreicher Verfassungen, unter anderem auch des deutschen Grundgesetzes. Zwar werden sie faktisch oft mit Füßen getreten, aber insgesamt sind die Menschenrechte seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert weltweit auf dem Vormarsch, ein Großteil aller Länder hat sie formell ratifiziert und Umfragen in vielen Teilen der Welt zeugen von einer großen Akzeptanz.

Diese politisch-historische Entwicklung beruht auf philosophischen Vorarbeiten; Die Idee, dass Menschen von Natur aus bestimmte, universelle Rechte haben, wurde vor allem in der Philosophie der Aufklärung, und hier besonders durch John Locke, Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant ausformuliert. In der philosophischen Diskussion über die Menschenrechte sind aber auch kritische Stimmen laut geworden, sei es, dass der Menschenrechtsdiskurs als solcher unter Eurozentrismus-Verdacht gestellt wurde, sei es, dass er als pathos­geladene Rhetorik gebrandmarkt wurde.

Demgegenüber will Amartya Sen in seinem Essay „Elemente einer Theorie der Menschenrechte“, der im Zentrum des Seminars stehen soll, die Idee von universellen Menschenrechten rechtfertigen, sie um ökonomische und soziale Rechte erweitern und sie gegen die Kritik an ihrer Legitimät und Kohärenz in Schutz nehmen. Seiner Auffassung nach handelt es sich bei Menschenrechten um genuin moralische, nicht um gesetzliche Rechte. Moralische Menschenrechte bestehen seiner Auffassung nach also unabhängig von der Gesetzeslage; sie motivieren und begründen Menschenrechtsgesetze, nicht umgekehrt. Dies eröffnet die Möglichkeit, die Gesetzgebung auf der Basis einer ethischen Reflexion zu kritisieren und weiterzuentwickeln.

Im Seminar werden feste Schreibphasen eingeplant, die Ihnen dabei helfen sollen, festzuhalten, was Sie gelernt haben, wo noch Unklarheiten bestehen und welche Fragen sich ergeben. Das während des Seminars geführte schriftliche Journal dient damit u.a. auch der Vorbereitung auf mündliche Prüfungen und erleichtert die Themenfindung für Ihre Hausarbeit. Daneben bietet es Ihnen auch die Gelegenheit, in Auseinandersetzung mit Sens Thesen schriftlich über Fragen zu reflektieren, die sich Ihnen persönlich stellen. (Echte moralische Überlegungen finden, wie Bernard Williams einst bemerkte, in der ersten Person Singular statt.)

Kurs im HIS-LSF

Semester: WT 2023/24