Die 1950er Jahre waren in der Bundesrepublik eine Zeit beschleunigter Auseinandersetzung zwischen Tradition und Modernisierung: In enormem Entwicklungstempo begann die Epoche der Rekonstruktion und des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. In dieser Zeit entstanden in der BRD eine große Anzahl von Unterhaltungsfilmen, die dem allgegenwärtigen Bedürfnis nach Entspannung und Orientierungshilfe entgegenkamen. Der Umgang mit der damals jüngsten deutschen Vergangenheit hingegen – mit Krieg, NS-Diktatur und Holocaust – wurde überwiegend durch Schweigen und Verdrängen bestimmt.

Das Kino der Adenauer-Ära griff dabei einerseits die narrativen Muster und Traditionen der Heimat- und Bergfilme der 1920er und 1930er Jahre wieder auf, andererseits aber versuchte es eine moderne Gesellschaft zu präsentieren (etwa durch den neuen Typ der ‚modernen‘ und berufstätigen Frau). Die noch stark spürbaren Wunden, psychische und physische Belastungen der Menschen durch den Krieg und die NS-Zeit wurden im Nachkriegsfilm zwar selten explizit thematisiert; nicht selten aber werden das latente Vorhandensein traumatischer Vorgeschichte(n) unter einer sichtbaren Oberfläche (aus Opferperspektive) ebenso wie die andauernde und belastende Anwesenheit von Tätern der NS-Zeit angedeutet.

So lassen sich im deutschen, dominant auf Eskapismus ausgerichteten Film der Nachkriegszeit – neben wenigen (zumeist noch in Schwarzweiß gedrehten) ‚Problem‘- und Gegenwartsfilmen, die sich um eine selbstkritische Aufarbeitung der deutschen Schuld oder des Nachkriegsalltags bemühen – drei dominante Genres ausmachen: Heimatfilme, Musik- bzw. Schlagerfilme sowie Kriegs- und Antikriegsfilme. Nicht nur für den Heimatfilm der 1950er Jahre sind dabei ein lokales Setting und seine Semantik konstituierend: die traditionelle heimatliche Natur etwa des Schwarzwalds oder der Lüneburger Heide steht einem zumeist hektischen und moralisch fragwürdigen Fortschrittsraum der Stadt entgegen.

Filmanalytisch untersucht werden sollen vor diesem Hintergrund insbesondere die folgenden Aspekte: Familienstrukturen und Liebeskonzeptionen, Generationenkonflikte, Moralnormen und Wertesystem(e), Raumsemantiken, der Umgang mit der deutschen Vergangenheit, Darstellung und Funktionen medialen und technischen Fortschritts – aber auch Genrefragen, Erzähl- und Darstellungsverfahren allgemein sowie bildkompositorische Aspekte der Kameraarbeit. Das Seminar will dabei versuchen, auf der Basis einer breiten Sichtung von Filmen unterschiedlicher Genres und der Diskussion jüngerer Forschungsbeiträge zu einer Neubewertung des (noch heute nicht selten als ‚Opas Kino‘ verschrieenen) bundesdeutschen Films der 1950er-Jahre zu gelangen.

Behandelt werden u.a. die folgenden Filme (das endgültige Programm wird in der ersten Sitzung gemeinsam festgelegt):

SCHWARZWALDMÄDEL (BRD 1950)
DIE SÜNDERIN (BRD 1950)
TOXI (BRD 1952)
DER 20. JULI (BRD 1955)
LIEBE, TANZ UND 1000 SCHLAGER (BRD 1955)
DIE HALBSTARKEN (BRD 1956)
LIANE, DAS MÄDCHEN AUS DEM URWALD (BRD 1956)
JONAS (BRD 1957)
DER WILDERER VOM SILBERWALD (BRD 1957)
DER GLÄSERNE TURM (BRD 1957)
ANDERS ALS DU UND ICH (§ 175) (BRD 1957)
ITALIENREISE, LIEBE INBEGRIFFEN (BRD 1958)
WIR WUNDERKINDER (BRD 1958)
NATÜRLICH DIE AUTOFAHRER (BRD 1959)
DIE BRÜCKE (BRD 1959)
ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT (BRD 1959)
DER FROSCH MIT DER MASKE (BRD/DK 1959)

Zur vorbereitenden Lektüre (bitte vor Seminarbeginn lesen!):

*Helmut Korte/Werner Faulstich: „Der Film zwischen 1945 und 1960: Ein Überblick“, in: Dies. (Hg.): Fischer Filmgeschichte, Bd. 3: Auf der Suche nach Werten (1945-1960), Frankfurt a.M. 1990, S. 11-33.

*Heide Schlüpmann: „‘Wir Wunderkinder‘. Tradition und Regression im bundesdeutschen Film der Fünfziger Jahre“, in: Frauen und Film 35 (1983): Die Fünfziger Jahre, S. 4-11.

*Irmgard Wilharm: „Filmwirtschaft, Filmpolitik und der ‚Publikumsgeschmack‘ im Westdeutschland der Nachkriegszeit“, in: Geschichte und Gesellschaft 28.2 (2002): Kontinuität und Wandel in der Politik der frühen Bundesrepublik, S. 267-290.


Kurs im HIS-LSF

Semester: ST 2023
ePortfolio: No