Der Liberalismus ist das vorherrschende Paradigma politischer Ordnung. Selbst Autokraten (ver)kleiden ihre undemokratischen Ansichten heute mitunter in eine Rhetorik der Freiheit. Aber worin besteht die politische Theorie des Liberalismus eigentlich genau? Was sind die zentralen Ideen dieses Paradigmas? Und wie verhalten sie sich zueinander? Anhand einer Lektüre ausgewählter Klassiker und paradigmatischer Positionen dieses Diskurses werden wir diesen Fragen in der ersten Hälfte des Seminars zunächst nachgehen. Wir verfolgen den ideengeschichtlichen Faden von John Locke über Immanuel Kant und John Stuart Mill bis hin zu John Rawls dabei stets mit einem Auge auf der Frage, wie die hier entwickelten Ideen (z. B. Freiheit, Toleranz, Neutralität und Privatheit) auch unsere heutige Welt noch prägen.

 

Im zweiten Teil des Seminars werden dann (jüngere) Kritiker:innen des Liberalismus zu Wort kommen. Denn es ist relativ unumstritten, dass die Erfolgsbilanz derjenigen politischen Philosophie, die immer mit dem Anspruch auftritt, die Menschen zu befreien und ihre Lebenssituationen zu verbessern, in der historischen Realität eher bescheiden ausfällt: Zu lange war der Liberalismus mit Kolonialismus, Rassismus und Sexismus sowie sozioökonomischer Ungleichheit und Ausbeutung vereinbar. Wesentlich umstrittener ist jedoch die Frage, ob der Zusammenhang zwischen liberalem Gedankengut und den genannten Phänomenen ein kontingenter ist: Wurden liberale Ideen nur nicht radikal genug umgesetzt? Oder sind diese exkludierenden Tendenzen und ihre historisch teilweise fürchterlichen Folgen dem liberalen Denken vielleicht sogar selbst inhärent?

 

Zum Abschluss des Seminars werden wir dann die Frage diskutieren, ob das liberale Paradigma noch zu retten ist: Ist der Liberalismus heute noch eine plausible Theorie für ein wechselseitiges Miteinander? Muss er dafür reformiert oder „auf die Höhe der Zeit“ gebracht werden, wie Christoph Möllers unlängst forderte? Oder müssen wir das Paradigma ganz über Bord werfen?

 

 

Teilnahmevoraussetzungen

Spezielles Vorwissen zu den hier gelesenen Autor:innen ist nicht notwendig. Erste allgemeine Vorkenntnisse in der Politischen Theorie sind hilfreich, aber ebenfalls keine formale Voraussetzung. Auch Theorie-Anfänger*innen sind herzlich willkommen! Unbedingt vorausgesetzt wird jedoch die Bereitschaft und Motivation zur intensiven und regelmäßigen Lektüre komplexer theoretischer Texte (und eine gewisse Ausdauer diesbezüglich).

 

 

Zur Einführung empfohlen

Bratu, Christine/Dittmeyer, Moritz (2017): Theorien des Liberalismus zur Einführung. Junius Verlag: Hamburg.

 

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2023