Die Protoethik stellt eine Ausgestaltung einer Prototheorie dar. Bei letzterem handelt es sich um eine Sorte einer, mit bestimmten Ansprüchen und Verfahren verknüpften Rekonstruktion von (praktischen und theoretischen) Wissensbeständen, insbesondere denjenigen, die in Wissenschaften in der Gestalt von Theorien ihren Niederschlag gefunden haben. Der Ausdruck »Proto« verweist auf das Altgriechische zurück und heißt soviel wie »erster« oder »zuerst«, es handelt sich mithin um eine Rekonstruktion komplexerer (z.B. wissenschaftlicher) Theoriegebilde aus ihren alltäglichen und lebensweltlichen Anfängen. Die Rede von »Proto« ist dabei nicht im zeitlichen Sinne gemeint, sondern im methodischen Sinne derjenigen Schritte, die einen nicht bereits von dem Vorhandensein einer Theorie ausgehenden Handelnden, dazu bringen können, den jeweils zu rekonstruierenden Überzeugungsmittelbestand zu erlernen.

Was etwa wäre ausgehend vom lebensweltlichen, vor- und außerwissenschaftlichen Handlungsvermögen ausgehend zu tun, um zu geometrischem Wissen zu gelangen (ohne z.B. das Vorhandensein eines Lehrbuchs, eine Geodreiecks oder Ähnlichem schon als gegeben vorauszusetzen).

Prototheorien gibt es für vielerlei spezielle Wissenschaften, etwa in Gestalt einer Protologik, Protophysik, Protogeometrie oder Protopsychologie und eben auch in Gestalt einer Protoethik.

Insbesondere Philosophen der methodischen Philosophie der Erlanger Schule des 20. Jhd. um Paul Lorenzen und Wilhelm Kamlah haben sich um dieses Projekt verdient gemacht, dass als eine Alternative zu metaethischen Zugängen zum Sinn und Geltungsgehalt moralischer Äußerungen und ihren Argumentationszusammenhängen verstehbar ist, die aus der Rationalität der Regeln lebensweltlich schon beherrschter Aufforderungshandlungen eine Grundlegung normativer Ethik erreichen möchte.  Wer daran interessiert ist, diesen Zugang zur praktischen Philosophie und Ethik näher kennenzulernen hat im Seminar die Gelegenheit, dies anhand ausgewählter Texte und bei Gebrauch gründlicher und sorgfältiger Lektüreverfahren (die gleichsam mitvermittelt werden) zu tun. Das Seminar setzt keine spezifischen Vorkenntnisse der methodischen Philosophie voraus.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2023