Das lange 19. Jahrhundert stellt ein zentrales Kapitel in der Geschichte europäischer Sicherheitskulturen dar. In der Französischen Revolution entfesselten die Jakobiner das erste moderne Terrorregime gegen (vermeintliche) innere Feinde, in der zweiten Besetzung des besiegten nachnapoleonischen Frankreichs 1815 sieht Beatrice De Graaf die Geburt der europäischen Sicherheitsordnung. Die Revolutionsangst der Folgejahre schuf den modernen Überwachungsstaat, die koloniale Expansion der europäischen Überseeimperien war eng mit der Bekämpfung vermeintlicher oder realer Piraten und Banditen verbunden. Im Kolonialkrieg und der kolonialen Aufstandsbekämpfung wurden Grundlagen gelegt, die in der globalen Sicherheitspolitik und -ordnung bis heute nachhallen. Das 19. Jahrhundert sah ebenfalls die Entstehung der modernen Polizei- und Geheimdienstarbeit, gleichzeitig wurden allmählich hergebrachte Strafpraktiken wie Körperstrafen und öffentliche Hinrichtungen durch das moderne Disziplinarregime ersetzt. Auch wenn in nahezu allen europäischen Ländern im 19. Jahrhundert das alltägliche Gewaltniveau abnahm, betrat eine neuartige und bis heute existierende Bedrohungsfigur die Bühne: Der Terrorist.

Aber was heißt es überhaupt, Sicherheitskulturen zu historisieren? Was ist Sicherheit und wie kann man sie historisch analysieren? Wie veränderten sich im 19. Jahrhundert gesellschaftliche Ängste und Bedrohungswahrnehmungen? Welche (neuen) Formen fanden europäische Staaten und Gesellschaften, um mit ihnen umzugehen? Wie hingen moderne Praktiken der Sicherheitspolitik einerseits mit breiteren historischen Wandlungsprozessen im 19. Jahrhundert zusammen und wie brachte der moderne Sicherheitsstaat dabei neuartige Feinde wie den Terroristen hervor? Und wo ist unsere aktuelle Sicherheitsordnung noch ein Kind des 19. Jahrhunderts?

Die Übung verfolgt zwei Ziele: Einerseits erlernen die Studierenden die grundlegenden Theorien und Methoden historischer Sicherheitsforschung mit dem Sie andererseits die weitreichenden sicherheitskulturellen Wandlungsprozesse des 19. Jahrhunderts analysieren, verstehen und diskutieren sollen. Für letzteres betrachtet die Übung unterschiedliche Sicherheitspraktiken, Wissensformen, die diesen zugrunde liegen und vermeintliche oder reale Bedrohungsszenarien im 19. Jahrhundert im historischen Wandel.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2023