Die figurative Malerei wird im 21. Jahrhundert mit einigen maßgeblichen Umbrüchen konfrontiert, die eine umfassende Neuperspektivierung unumgänglich machen. Hatte Benjamin H.D. Buchloh die Konjunktur der Figuration Anfang der 1980er-Jahre noch als Zeichen aufkeimender, politischer Oppression gedeutet, erscheint deren Renaissance ihm dreißig Jahre später als Weg zu einer autonomen, ästhetischen Erfah- rung, die genau nicht in einer “sociopolitically-conservative position” (Benjamin H.D. Buchloh, ‘Farewell to an Identity’) münden muss. Die Rolle figurativer Malerei soll anhand von zwei entscheidenden Kontexten untersucht werden.

Zum einen wird Michael Baxandalls Feststellung gefolgt, in der es heißt: “[Paintings] are among other things fossils of economic life” (James Elkins, ‘Painting and Experience’). Inwiefern Malerei Spuren ökonomischen Lebens aufweist und wie diese sich von jenen vorangegangener Epochen unterscheiden, wird in Hinsicht auf die Geschichte von Finanz-/Banken- und Kreditkrisen, sowie dem Aufstieg des Finanzkapitalismus nachgegangen, der das lang tradierte Verhältnis von Malerei und Ökonomie radikal umgewertet hat. Zum anderen konzentriert sich die Vorlesung auf die tiefgreifenden Konsequenzen, welche das Digitale auf die Malerei hatte und hat. Gerade in Hinsicht auf ihre Materialität scheint es, als bilde sie eine Opposition zur Digitalisierung und ihrer Präferenz für glatte Oberflächen. “Paint is water and stone, and it is also liquid thought[,]” schreibt James Elkins 2000 in ‘What Painting Is’. Malerei und ihre Materialien verweisen jedoch nicht ausschließlich auf ihren anachronistischen Charakter, sie können in ihrer liquiden Komplexität durchaus als utopischer Ort verstanden werden, der sich dem Algorithmus verschließt.

In der Vorlesung soll eine Bestandsaufnahme der Malerei entlang der drei Komplexe Figuration, Digitalität und Ökonomie und deren Überschneidungen und Konstellationen vorgenommen werden, die sich an eingehenden Werkanalysen von bereits kanonisierten Künstler*innen wie Kerry James Marshall, Kehinde Wiley, Nicole Eisenman, Lubaina Himid und Lynette Yiadom-Boakye und bisher weniger beforschten Akteur*innen wie Greg Breda, Jill Mulleady, Njideka Akunyili Crosby und Calida Garcia Rawles orientieren. Zentral ist das Vorhaben, die Werke in ihrer ästhetischen Intention nachzuvollziehen, um ihre soziohistorischen Dimensionen sehen zu können und so die mögliche Gegenwärtigkeit einer “Social Art History” zu erproben.


Semester: SoSe 2023