„Auch ihr sollt die Fremden lieben, denn ihr seid Fremde in Ägypten gewesen" (Dtn 10,19) – fordert die für Juden wie Christen verbindliche Tora. Damit ist in der Welt der Bibel eine Norm gesetzt, die Menschen anderer Herkunft, Sprache, Kultur im Blick hat und an die eigene Fremdheits-Erfahrung als Grund dafür appelliert, Fremde willkommen zu heißen. Der prekäre Status von Fremden, seien es unfreiwillig aus ihrem Land Geflohene, seien es solche, deren Anders-Sein aufgrund von kulturellen Differenzen auffällt, ist nicht erst ein Thema der modernen Nationalstaaten oder des Versuchs von deren Flexibilisierung in einem geeinten Europa, sondern durchzieht die Menschheitsgeschichte seit ihren Anfängen.

Auch wenn die Norm der „Fremdenliebe" in der Hebräischen Bibel nicht unumstritten gilt und dort durchaus eine kontroverse Diskussion zum Umgang mit Fremden stattfindet, ist sie bleibendes und zentrales Gebot für Christen und Christinnen heute. Die aktuelle Bedeutung von Fremd- und Anderssein für das Miteinander in einer Gesellschaft und den sozialen Frieden liegt angesichts einer zunehmenden kulturellen und religiösen Pluralisierung auf der Hand. In bestimmten biblischen Traditionen werden die anderen oder fremden Gottheiten mit sexuellen Perversionen ihrer Verehrer und Verehrerinnen assoziiert oder umgekehrt bestimmte Sexualpraktiken, insbesondere gleichgeschlechtliche, als Problem von Fremden und ihren Kulten stigmatisiert. Wie sieht ein Umgang mit dem Fremden und dem Anderen (ethnisch, kulturell, religiös, sexuell) in unserer gegenwärtigen westeuropäischen Gesellschaft aus, welche (subtilen) Stigmatisierungen geschehen, welche Ängste und Befürchtungen lösen das Fremde und Andere aus?

Im Seminar werden wir uns mit den biblischen und gegenwärtig aktuellen Diskussionen um Fremdsein/Anderssein auseinandersetzen, nach ethischen und praktisch-theologischen Kriterien der Urteilsbildung fragen und diese auf aktuelle Zusammenhänge, insbesondere von Bildung und Pastoral, beziehen.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2023