Die Frage, inwiefern Werte in der Wissenschaft eine Rolle spielen, wurde in der Philosophie der Gegenwart mehrfach aufgeworfen. Unter den spezifischen Vorzeichen ihrer jeweiligen Epoche standen in einem ersten Werturteilsstreit zu Beginn des 20. Jahrhunderts Max Weber, der sich für die Wertneutralität der Sozialwissenschaften aussprach, und sogenannte Kathedersozialisten wie Gustav Schmoller entgegen. Diskutiert wurde dabei, ob Wissenschafterinnen qua ihrer Funktion als Wissenschafterin moralisch wertende Äußerungen machen dürften. Im zweiten Werturteilsstreit, der insbesondere im deutschen Sprachraum in den 1960er und 1970er Jahren stattfand, diskutierten die Vertreter der Frankfurter Schule aus der Perspektive der kritischen Theorie mit den Vertretern des Kritischen Rationalismus ob Wissenschaft als wertfreier Prozess der Erkenntnisgewinnung denkbar ist. Neben diesen historisch relevanten Schauplätzen hat sich insbesondere im englischsprachigen Raum eine rege Diskussion entwickelt, in der neuartige Einwände gegen die Möglichkeit wissenschaftlicher Wertneutralität vorgebracht wurden. Insbesondere wurde darin die Rolle von nicht-epistemischen Werten im wissenschaftlichen Begründungsprozess, das Zusammenspiel von Wertneutralität und Wertbezogenheit in der Wissenschaft sowie die Wertabhängigkeit von Wissenschaft im gesellschaftlich-ökonomischen Kontext reflektiert. Im Seminar werden wir diese Fragen historisch und systematisch erörtert.
Kompetenzziele:
•    Die Studierenden können die wichtigsten Positionen und Argumente in der Debatte um die Wertneutralität der Wissenschaften benennen und erklären.
•    Die Studierenden verstehen grundlegende wissenschaftstheoretische Unterscheidungen zur Explikation des Wertneutralitätspostulates und können diese analytisch aus den einzelnen Argumenten gewinnen.
•    Die Studierenden können Fragen und Probleme möglicher Wertgeladenheit auf ihre eigene Forschung anwenden und vor dem Hintergrund der allgemeinen Systematik reflektieren.

Semester: WiSe 2022/23