Ein Markenzeichen von Aufständen und Revolutionen ist – quer durch alle Zeiten – eine Polarisierung gesellschaftlicher Gruppen, die das Gefühl verbindet, vom vorherrschenden Ordnungsgefüge im Stich gelassen worden zu sein. Kann oder will dieses nicht auf ihre Wünsche eingehen, verdichten sich die Unzufriedenen im Folgenden zu schlagkräftigen Ad hoc-Körperschaften, oftmals unter der Führung charismatischer Persönlichkeiten, welche die bestehenden Ordnungsstrukturen nunmehr offen herausfordern. Der offene Konflikt ist dann zumeist nicht mehr weit. Gerade im Spätmittelalter, wo strukturelle und ideelle Veränderungen die bisherige Herrschaftsordnung auf vielen Ebenen in Frage stellte, nahm auch die Angst der Obrigkeiten vor einem wütenden, Steine werfenden Mob zu. Zu den diesbezüglich am besten dokumentierten Beispielen gehört die Entstehungsgeschichte der hussitischen Revolution im Königreich Böhmen (ca. 1419-1437). Hier kamen nämlich gleich mehrere Krisenmomente zusammen, die nach und nach eine unrühmliche Dynamik entwickeln sollten: Eine gesellschaftliche Verunsicherung, hervorgerufen durch das Große Schisma; die Schwächung der Luxemburgischen Zentralherrschaft nach dem Tode Karls IV (1378) und das erscheinen neuer charismatischer Akteure wie etwa Jan Hus, die geistliche und (proto)nationale Reformen forderten.

Ziel der Übung wird sein, den Weg in die Hussitischen Revolution anhand ediertet Quellen (vorwiegend auf Deutsch/Englisch) nachzuzeichnen, wobei es insbesondere darum gehen wird, den Charakter der jeweiligen ‚Kippunkte‘ zu diskutieren. Dies soll, erstens, mit Hilfe der Fakten geschehen, zweitens über die Instrumente und Mechanismen, derer sich die neu formierenden Akteursgruppen bedient haben (etwa der Inszenierung von Konsens und Dissens, den Mechanismen von Eskalation und Deeskalation sowie zeitgenössischen ‚Massenmedien‘ und Frühformen ‚politischer Propaganda‘). Drittens, auf der Basis der zeitgenössischen Historiographie, die je nach nationalen Vorzeichen ein anderes Bild der Ereignisse widergibt. Abschließend sollen die Erkenntnisse mit modernen politologischen Konzepten/Modellen zu unterschiedlichen Stufen gesellschaftlichen Destabilisierung abgeglichen werden.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2022/23