Wer galt im Mittelalter als Arm? Das Armutsverständnis im Lauf der Zeit zwischen 800 und 1500 zusammen mit den sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen gravierende Veränderungen. Während um 1000 als arm galt, der keine Freiheit und keine Macht besaß, befeuerte die spätere Monetarisierung der Wirtschaft eine Definition der Armut nach wirtschaftlichen Verhältnissen. Die freiwillige Armut der Mönche und Religiosen folgt ebenfalls den wirtschaftlichen Änderungen: Während die Benediktiner seit dem Frühmittelalter auf individuellem Besitzverzicht pochten, jedoch ein umfangreiches Grundbesitz für das Kloster vorsahen, wollten die Franziskaner ab ca. 1215 sogar auf kollektiven Besitz verzichten, was nur möglich war, weil die Städte genug tägliche Spenden und Arbeitsmöglichkeiten boten, um ohne Besitz zu überleben. Die Verbreitung der Lohnarbeit verschob ebenfalls die moralischen Kategorien im Umgang mit den Armen: Ab dem Spätmittelalter sollten die arbeitsfähigen Armen Arbeit suchen, anstatt zu betteln. Im Proseminar werden diese komplexen und hochspannenden Wechselwirkungen zwischen Moral und Wirtschaftsstrukturen unter die Lupe genommen.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WT 2022/23