Gertrude Elizabeth Margaret Anscombe (1919–2001) ist die Begründerin der modernen analytischen Handlungstheorie. Sie war Schülerin Ludwig Wittgensteins, nach seinem Tod war sie auch seine Nachlassverwalterin und übersetzte viele seiner Werke ins Englische. Sie lehrte zunächst in Oxford und war von 1970 bis 1986 Professorin an der Universität Cambridge. Mary Warnock und John Haldane rühmten sie als größte Philosophin in der bisherigen Philosophiegeschichte; und Donald Davidson wird im Klappentext der 2. Auflage ihres Buches Intention mit dem Diktum zitiert: „Anscombe’s Intention is the most important treatment of action since Aristotle.“
Trotz dieses emphatischen Lobs – und trotz des zunehmenden Interesses am Werk von Philosophinnen – ist Anscombe bisher vergleichsweise unbekannt geblieben. Dies hat verschiedene Gründe. Zunächst ist ihr spröder, am späten Wittgenstein geschulter Stil zu nennen. Anscombe schreibt zwar stets argumentativ und systematisch geordnet, aber streckenweise so verknappt, dass es erheblicher Interpretationsarbeit bedarf, sich ihre Texte zu erschließen. Zweitens konvertierte Anscombe während ihrer Studienzeit zum Katholizismus und trat in Aufsätzen zur thomistischen Doppelwirkungslehre als Gegnerin des Schwangerschaftsabbruchs und der Kontrazeption auf. Angst davor, politisch unpopuläre Ansichten zu vertreten, kannte Anscombe nicht. Als die Universität Oxford 1956 entschied, dem ehemaligen US-Präsidenten Harry S. Truman eine Ehrendoktorwürde zu verleihen, war sie nicht nur als überzeugte Pazifistin empört. In ihrem Aufsatz „Mr. Truman’s Degree“ argumentierte sie dafür, dass der durch ihn verantwortete Abwurf von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki ein Massenmord gewesen sei und Truman somit ein vielfacher Mörder. Politisch konnte sich Anscombe nicht durchsetzen: Truman bekam seinen Oxford-Ehrendoktor. Daraufhin reagierte Anscombe als Philosophin: Sie war davon überzeugt, dass die Truman-Verteidiger in ihrem moralischen Urteil deshalb fehlgeleitet waren, weil sie die Natur der fraglichen Handlung nicht richtig verstanden. Um die Verantwortbarkeit einer Handlung beurteilen zu können, muss man nach Anscombe absichtliche Handlungen von unwillkürlichen Widerfahrnissen unterscheiden. Und um diese Unterscheidung treffen zu können, muss man verstehen, was eine Handlungsabsicht ist. So wurde der Streit um Trumans Ehrendoktor für Anscombe zum Anlass, ihre einzige Monographie Intention (1957) zu verfassen. Das Werk behandelt die Leitfrage, unter welcher Beschreibung man einer Handlung in gerechtfertigter Weise eine Absicht zuschreiben kann.
Im Seminar werden wir Anscombes schmale Monographie (in der Originalausgabe umfasst sie nur 94 Druckseiten) gemeinsam lesen und diskutieren. Primäre Teilnahmevoraussetzung ist die Bereitschaft zur gewissenhaften und intensiven Lektüre von Anscombes Buch. Keine einfache Kost, aber es lohnt sich!
Das Buch liegt in einer brauchbaren deutschen Übersetzuung vor. Alle englisch- und deutschsprachigen Ausgaben können im Seminar verwendet warden.
- Lehrende/r: Martin Hoffmann