„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Die elfte der Thesen zu Feuerbach markiert Marx’ und Engels’ Abwendung von der Philosophie und Hinwendung zum „wissenschaftlichen Sozialismus“. Über diesen Satz und seine wissenschaftstheoretischen Implikationen ist in der Folge viel gestritten worden: Was bedeutet er für Philosophie und Wissenschaft? Wie können und sollen diese die Welt verändern? Was bedeutet „Weltveränderung“ überhaupt?

Das Seminar will sich der Frage widmen, wie Marx’ und Engels’ Wissenschaftsverständnis innerhalb der marxistischen Diskussionen zu komplexen Wissenschaftstheorien ausgebaut worden ist. Es sollen dabei sowohl Vertreter eines eher „orthodoxen“ (Lenin und Lukács) als auch eines eher undogmatischen Marxismus diskutiert werden (Bloch, Adorno, Horkheimer und Marcuse) sowie Habermas’ Marxismuskritik, die einige Impulse des Marxismus retten möchte.

Bis heute fasziniert am Marxismus, dass dieser wissenschaftlichen und sozialen Fortschritt als einen Prozess betrachtete: Als weltverändernde Praxis sollte die Wissenschaft dazu beitragen, soziale Vorurteile abzubauen und die technischen Möglichkeiten zur Realisation kollektiver Utopien bereitstellen. Schon Lenin und Lukács war indes klar, dass dieses Projekt ein spezielles Wissenschaftsverständnis erforderlich machte: Die „wahre Wissenschaft“ wurde dem „bürgerlichen Positivismus“ entgegengesetzt. Im Zuge des Zweiten Weltkriegs gaben die Vertreter der Frankfurter Schule das marxistische Fortschrittsdenken weitgehend preis, Bloch versuchte es zu retten.

In aktuellen Debatten wird die Frage nach der sozialen Verantwortung der Wissenschaft wieder neu gestellt und Rufe werden lauter, diese als weltverändernde Praxis zu sehen. Insbesondere die enge Verflechtung von Wissenschaft und Ökonomie wird kritisch beäugt. Die Rückbesinnung auf die marxistische Tradition soll dabei helfen, unsere aktuellen Probleme in einem neuen Licht zu sehen.

Semester: WiSe 2022/23