Drei klassische Texte der Bildungsphilosophie: eine vergleichende Lektüre SoSe 2022, Martin Hoffmann
Was ist Bildung und welche Rolle spielt Bildung in der Erziehung des Menschen? Das sind die zentralen Kernfragen sowohl der tradierten Bildungsphilosophie als auch der in den letzten 80 Jahren (vornehmlich im englischen Sprachraum) entstandenen Philosophy of Education. In diesem Seminar möchte ich diese Kernfragen anhand von drei klassischen, philosophiehistorisch einflussreichen Texten diskutieren. Alle drei Texte kann man als mittlerweile kanonisiert betrachten. Allerdings teilen sie das Schicksal vieler kanonischer Texte: Sie werden weitaus häufiger zitiert und auch plagiiert als wirklich gelesen und diskutiert. Ein Ziel des Seminars besteht darin, dies zu ändern. Eine synoptische Zusammenschau dieser Texte ist dabei aus mehreren Gründen philosophisch reizvoll.
Erstens stammen diese Texte aus derselben Zeit, zu der wir heute schon wieder einen gewissen historischen Abstand haben: Alle sind zwischen 1958 und 1960 publiziert worden. Einleitend werde ich deshalb einiges zum historischen Hintergrund und zum Entstehungszusammenhang sagen. Wir werden uns dann gemeinsam erarbeiten, wie man zu dieser Zeit philosophisch über Erziehung und Bildung nachdachte und wie wir uns aus heutiger Perspektive dazu stellen.
Zweitens ist festzustellen: Obwohl die drei Autoren zur selben Zeit über Bildung und Erziehung nachdachten, nehmen sie an keiner Stelle aufeinander Bezug. Dies liegt daran, dass sie aus philosophischen Traditionen stammen, die damals kaum Berührungspunkte zueinander aufwiesen. Wolfgang Klafki (1927–2016) steht in der Tradition der Bildungsphilosophie und der geisteswissenschaftlichen Pädagogik des 19. Jahrhunderts, Theodor W. Adorno (1903-1969) ist einer der prominenten Exponenten der gleichermaßen von Sigmund Freud und von Karl Marx inspirierten Frankfurter Schule und Israel Scheffler (1923–2014) ist ein ebenso prominenter Vertreter der sprachanalytischen Philosophie, die damals in den USA bereits etabliert war. Eine synoptische Zusammenschau dieser Text macht der/dem Leser:in deutlich, wie stark sich verschiedene philosophische Traditionen in ihrer Perspektive auf die Themen Bildung und Erziehung unterscheiden. Nur, wenn man diese Unterschiede kennt, kann man vermeiden, tradierte Deutungsmuster unkritisch in seine eigenen Sichtweisen auf Bildung und Erziehung zu übernehmen.
Voraussetzung für die Teilnahme ist die Bereitschaft zur Lektüre anspruchsvoller Texte und ein Interesse an der vertieften Diskussion bildungsphilosophischer Gehalte.
- Lehrende/r: Martin Hoffmann