Friedrich Nietzsche fragt in seiner Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift (1887) nach der Entstehung und dem Wert der Moral. Statt aber an die vermeintlich naheliegende Überzeugung anzuschließen, dass die Moral Grundlage eines gelingenden menschlichen Zusammenlebens darstellt, vertritt er die gegenteilige These: Er beschreibt die Moral als „Symptom, als Maske, als Tartüfferie, als Krankheit, als Missverständnis“, als „Gift“ und „Narkotikum“ und als die „Gefahr der Gefahren“ (Vorrede, 6).

Mit seiner Streitschrift kritisiert Nietzsche Moral auf eine grundsätzliche Weise – das heißt, nicht nur einige Aspekte oder bestimmte moralische Vorstellungen, sondern die Moral als solche. Dass Moral aber auch nach seiner Argumentation nicht völlig verabschiedet werden kann, hindert ihn nicht daran, die Moral auf polemische, provokative und teilweise überspitzte Weise ins Visier zu nehmen.

Damit hat Nietzsche verschiedenste Überzeugungen grundlegend infrage gestellt und weitreichende Diskussionen angestoßen. So hat er mit seiner Genealogie nicht nur in der Philosophie zahlreiche Traditionen geprägt (wie insbesondere den Poststrukturalismus), sondern auch Debatten in anderen wissenschaftlichen Disziplinen, wie etwa der Soziologie, der Psychologie oder der Rechtswissenschaft angestoßen. Dabei wird er teilweise sehr affirmativ, teilweise aber auch sehr kritisch gelesen.

 

In diesem Lektüreseminar werden wir uns Nietzsches Zur Genealogie der Moral gemeinsam erschließen. Dabei werden wir auch die Frage diskutieren, inwiefern seine Moralkritik auch noch für eine zeitgenössische Gesellschaftskritik produktiv sein kann. Ergänzend werden wir daher einige Kritiken und Weiterführungen etwa aus der feministischen und postkolonialen Philosophie diskutieren.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2022