Obwohl Zeit für die Geschichtswissenschaft, die man mit Marc Bloch als „une science des hommes dans le temps“ bezeichnen kann, eine fundamentale Rolle spielt, denken Historiker*innen nur selten darüber nach, was Zeit ist und wie wir mit ihr umgehen. Nach den grundlegenden Arbeiten Reinhart Kosellecks in den 1970er- und 1980er-Jahren ist ein intensiverer zeittheoretischer Diskurs erst in den letzten Jahren entstanden. Unter dem Rubrum der „Zeitpraktiken“ wird in diesem Zusammenhang betont, dass Zeit keine ontologische Größe ist, sondern eine soziale Konstruktion. Es gibt keine von menschlicher Wahrnehmung unabhängige, „objektive“ Zeit.

Im Seminar sollen geschichtstheoretische und soziologische Perspektiven auf diese Tatsache, die der alltäglichen Erfahrung von Zeit widerspricht, diskutiert werden. Vor allem aber soll die Frage erörtert werden, welche Konsequenzen daraus für die Geschichtsdidaktik und den Geschichtsunterricht erwachsen. In diesen Kontexten gilt Zeit nämlich noch immer – und zwar auch geschichtsdidaktisch – als eine relativ unproblematische Kategorie, deren Gebrauch Schüler*innen bereits im Grundschulalter erlernen. Das Konzept des „Zeitbewusstseins“ und darauf bezogene Kompetenzen historischen Denkens bedürfen also einer Ausdifferenzierung, um die sich das Seminar bemühen will. Welche Arten von Zeitpraktiken werden im Geschichtsunterricht vollzogen, wie gehen Lehrende und Lernende mit diesen um, und welche Kompetenzen benötigen sie für einen reflektierten Umgang mit der Kategorie „Zeit“?

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2022