„Geglückte Demokratie“, „Westernisierung“, „Liberalisierung“ – aber auch „Provisorium“, „Republik der Angst“, „Suche nach Sicherheit“. Die aktuellen zeithistorischen Deutungen der Bundesrepublik sind so vielfältig wie unübersichtlich. Dabei sind die Wandlungsprozesse und Herausforderungen, mit denen der westdeutsche Staat seit seiner Gründung konfrontiert war, nicht unerheblich: Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, „Wirtschaftswunder“ und Individualisierung, soziale Protestbewegungen und Rechtsterrorismus, Ost-West-Konflikt und europäische Integration, Arbeitsmigration und wirtschaftlicher Strukturwandel, konservative Wende und Wiedervereinigung, Migration und Rechtspopulismus – um nur einige Schlagworte zu nennen. Zugleich wird aktuell diskutiert, inwiefern eine „Globalgeschichte der Nation“ oder eine Geschichte globaler Wandlungsprozesse und transnationaler Verflechtungen die klassische Nationalgeschichte ablösen oder zumindest erweitern solle.

Aufgabe dieses BA-Hauptseminars wird sein, die unterschiedlichen Narrative kritisch zu betrachten und zugleich Desiderate und offene Fragen zur Geschichte der alten BRD bis 1989/90 und des wiedervereinigten Deutschlands nach 1990 zu entwickeln. Hierzu bedienen wir uns – ganz klassisch – des Ansatzes der Gesellschaftsgeschichte, fragen nach Entwicklungen auf den Feldern Politik, Wirtschaft, Kultur und sozialer Ungleichheit. Besonderes Augenmerk liegt zudem auf geschlechterhistorischen Überlegungen, um Gründe dafür freizulegen, dass die Hälfte der Bundesbürger*innen trotz des Gleichberechtigungsgrundsatzes im Grundgesetz bis heute keine volle politische, soziale, ökonomische Gleichberechtigung erreichen konnte.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2022