In der Staatsrechtslehre wird allgemein zwischen Grenzlinie und Grenzregime unterschieden. Die Grenzlinie bestimmt zunächst nur die äußere Reichweite des Staatsgebiets und scheidet es von anderen Raumeinheiten (Nachbarstaaten). Sie hat völkerrechtliche Qualität und ist rein deskriptiv, indem sie rechtsverbindlich bestimmt, wo das Staatsgebiet beginnt und endet. Daraus erwächst aber zunächst noch kein Normbefehl und kein Anspruch. Erst das Grenzregime zeigt an, ob und mit welchen Folgen die Grenzlinie überhaupt überschritten werden darf. Insofern dies nicht völkerrechtlich bestimmt ist, sondern allein dem Staat obliegt, wird das Grenzregime als eine Emanation staatlicher Souveränität betrachtet.

Angesichts der Fülle der Theorien um Staatlichkeit und Souveränität ist es allerdings erstaunlich, wie wenig das Grenzregime Eingang in die philosophische Reflexion gefunden hat. Erst in den letzten Jahrzehnten entstand ein philosophischer Diskurs um das Thema Migration und Bewegungsfreiheit. Diesbezüglich steht jedoch primär die ethische Frage im Vordergrund, ob und wie weit Staaten Einwanderung beschränken dürfen. Eine Analyse der Effekte des Grenzregimes, ihrer immanenten Logik(en) und der konstitutiven Rolle für die gegenwärtige politische Ordnung blieb bislang weitestgehend aus, obgleich einzelne Beiträge aus den letzten Jahren in diese Richtung weisen.

In dem Seminar wollen wir uns daher gemeinsam den kritischen Perspektiven zuwenden. Wir werden uns nicht nur mit dem Grenzregime und verwandten Konzepten (Territorialität, Staatsbürgerschaft) auseinandersetzen, sondern ebenso fragen, wie es dazu kommt, dass dem Thema bislang in der Philosophie so wenig Beachtung geschenkt wurde.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WT 2021/22
ePortfolio: No