Beethoven - ein Mann, ein Name, ein Komponist, jeder kennt ihn, jeder hat ihn vor Augen, den „tauben Typen, der auch komponierte” (wie ein kolumbianischer Breakdancer jüngst meinte), den Komponisten der „Freudenmelodie”, der „Schicksals-Sinfonie”, der „Mondscheinsonate” und des beliebtesten Klavierstückes aller Zeiten - „Für Elise”. 1770 in Bonn geboren und - körperlich - 1827 in Wien verstorben, wird er nun 250 Jahre alt, und die Medien überschlagen sich mit Artikeln, Konzerten, Neuaufnahmen und Neuausgaben seiner Werke, ungezählte Veröffentlichungen erscheinen auf dem Buchmarkt. Autoren nennen ihn den „Heroen”, „Rebellen”, „empfindsamen Titanen”, andere meinen, es sei überfällig, ihn endlich vom Sockel zu stoßen. Historisch gesehen hat Beethoven viel gemein mit unseren Rockmusikern der vergangenen Jahrzehnte. Er protestierte unüberhörbar, er echauffierte sich maßlos über die feine Gesellschaft, die heuchlerischen Machthaber, das Establishment, benahm sich daneben. Abhängig zu sein vom Adel, aufschauen zu müssen zu Fürsten und Regenten, war für ihn, den ersten Künstler der Musikgeschichte, der bewusst ICH sagte, nicht zu machen. Und er hielt nicht hinterm Berg mit seiner Meinung, dass die Adeligen durch Glück und Geburt das geworden waren, was sie eben waren, er aber sei es allein durch das geworden, was er selbst geschaffen habe. Bis hierhin unstrittig.

Tatsache heute ist immer noch, dass Beethoven auch außerhalb seines Jubiläums-Jahres der meist gespielte klassische Komponist neben Mozart ist. Konzerte, in denen eine Beethoven-Sinfonie oder eines seiner Klavierkonzerte auf dem Programm steht, sind für Veranstalter immer eine sichere Bank. Unstrittig ist auch Beethovens revolutionäre musikhistorische Bedeutung, das Neue seiner Werke, deren inhaltlicher Reichtum und formale Meisterschaft. So wurde Beethoven schnell zum Maßstab für alles Folgende bis ins Zwanzigste Jahrhundert hinein. Rund 1.200 Filme sind es inzwischen, für die Ausschnitte seiner Musik gewählt wurden.

Unterschiedliche Meinungen gibt es dagegen heute unter Musikpädagogen, was seine Bedeutung für unsere Zeit tatsächlich sei und ob er in der Lebenswirklichkeit der Schüler außer vielleicht als Klingelton von Endgeräten überhaupt noch vorkommt. Spricht diese rund 200 Jahre alte Musik junge Menschen heute wirklich noch an? Muss man sie kennenlernen? Wozu? Oder wird sie sowieso bald das Zeitliche segnen? Auf Fragen wie diese würde man in anderen Ländern und fernen Kulturkreisen überhaupt nicht kommen. Man denke nur an den Respekt und die Bewunderung wie sie etwa in den ostasiatischen Ländern der europäischen Musik und insbesondere Beethoven entgegengebracht werden. Seine Musik ist damals wie heute keine Unterhaltung auserwählter Gesellschaften, sondern eine Botschaft an die Menschen, sie ist weit mehr als Lernstoff innerhalb eines traditionellen bürgerlichen Bildungs-Ideals, das als solches längst auf der Kippe steht. Sie kann Nahrung für die Seele sein und war erstmals ganz bewusst als solche beabsichtigt. In Japan gibt es jedes Jahr Aufführungen der „Neunten” mit Chören von 10.000 Sängern und mehr, sie singen oft mit Tränen in den Augen den berühmten Schiller-Text in der ihnen so fernen deutschen Sprache: „Alle Menschen werden Brüder...” Gibt es etwas Aktuelleres, Kreativeres und vor allem „Nachhaltigeres”?

Begeben wir uns also auf eine Seminar-Reise durch Beethovens wichtigste Werke. Das Urteil des Seminar-Leiters über Beethoven hält sich ziemlich hartnäckig und erfährt auf rätselhafte Weise immer neue Bestätigung. Kann man begreifen, dass ein völlig ertaubter Mensch so etwas zu Papier bringt wie eben diese „Neunte”, die „Missa solemnis” und seine höchst komplizierten späten Streichquartette, nur in der inneren Vorstellung erdacht ohne die mindeste Chance, auch nur einen einzigen Ton am Instrument kontrollieren zu können, ob er denn passe zu den anderen und so klingt wie erwünscht? Vielen ist diese Dimension überhaupt nicht klar, manchen völlig gleichgültig. Ist das kein Grund zum Staunen? Auch für zukünftige Musiklehrer nicht? Beethoven wurde mal als der größte Komponist bezeichnet, nicht obwohl er taub war, sondern weil er taub war. Da ist er wieder, der Sockel, auf dem er prangt. Macht das für uns einen Unterschied? Könnten das eigentlich heutige Rockstars, wenigstens einen Song aus vier oder acht Akkorden bestehend? Auch gleichgültig. Oder hat Beethoven selbst den Schuss nicht gehört, dass er sich inzwischen längst überlebt habe? Nein, hat er nicht, stocktaub wie er zuletzt war. Auch von seiner Schwägerin hatte Beethoven aufgrund des Gehörleidens schon länger nichts mehr gehört... so zu lesen bei dem großartigen Humoristen Loriot. In diesem Sinne: Widerspruch erwartet, Diskussionen sehr erwünscht.                     

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2021/22